Klinische Trägheit (Clinical inertia) beschreibt die Herausforderung, evidenzbasierte Medizin in die tägliche Praxis umzusetzen. Im Englischen wird sie definiert als: „Failure of health care providers to initiate or intensify therapy according to current guidelines”.
Das Ziel ist, Behandlungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu gestalten, um stets das bestmögliche Behandlungsergebnis für den Patienten zu erreichen. Dies erfordert eine sorgfältige, bewusste und überlegte Anwendung des aktuell verfügbaren Wissensstands bei der Versorgung jedes Patienten.
Anwendung neuer Forschungsergebnisse
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Kenntnis der neuesten Forschungsergebnisse und deren Abwägung im Hinblick auf die individuelle Patientenversorgung. Es gilt, diese Erkenntnisse mit bestehenden Gewohnheiten und langjährigen Überzeugungen in Einklang zu bringen. Es kann schwierig sein, neue Erkenntnisse zu akzeptieren, wenn sie im Widerspruch zu langjährigen Praktiken stehen.
Ursachen
Vier Hauptursachen für klinische Trägheit sind erkennbar:
- Unkenntnis der aktuellen Evidenzlage
- Zweifel an neuen Studienergebnissen
- Tendenz, persönliche Erfahrungen höher zu bewerten als publizierte Daten
- Vermeidungsstrategien wegen Unglauben oder Warten auf Veränderungen in anderen Bereichen
Das Verständnis dieser Dynamiken ist entscheidend, um evidenzbasierte Medizin effektiv umzusetzen. Es erfordert kontinuierliche Fortbildung, die Bereitschaft, neue Erkenntnisse zu integrieren, und ein Bewusstsein für die menschliche Neigung, an Vertrautem festzuhalten.
Die Auseinandersetzung mit und die Umsetzung von evidenzbasierten Methoden sind mühsam, aber im Interesse der Patienten notwendig. Es geht nicht darum, sich durch die Fortbildungspflicht eingeschränkt zu fühlen, sondern darum, offen für neue Erkenntnisse im Sinne der Patienten zu sein.
Dies erfordert ein Bewusstsein für das eigene Handeln. Es ist eine natürliche und psychologisch begründbare Reaktion, die eigene Erfahrung stark zu gewichten. Durch die regelmäßige Auseinandersetzung mit neuen Erkenntnissen und die Orientierung an aktuellen Leitlinien kann die medizinische Praxis verbessert werden. Der Schlüssel zur Überwindung dieser natürlichen Tendenz, bekannte Therapieentscheidungen zu bevorzugen, liegt im Bewusstsein.
Weiterführende Informationen:
Podcast Klinisch Relevant: Clinical inertia - mit Frau Prof. Natascha Nüssler