Was ist Low-Value-Care?
Low-Value Care bezeichnet medizinische Maßnahmen, die keinen oder nur geringen klinischen Nutzen bieten, dabei potenziell schädlich und oft kostspielig sind. Diagnostische Tests und Behandlungen erfolgen häufig ohne klare Indikation, oft aus Routine, Sorge oder wirtschaftlichem Druck.
Beispiele
Atemwegserkrankungen
- Pharyngitis bei Kindern unter 3 Jahren
- unnötige Maßnahmen: Testung auf Streptokokken der Gruppe A
- Begründung: Streptokokken-Infektion sind in dieser Altersgruppe selten, Testungen führen oft zu unnötigen Antibiotikatherapien (Besiedlung!)
- Bronchiolitis
- unnötige Maßnahmen: Gabe von Bronchodilatatoren, Kortikosteroiden, Thorax-Röntgenaufnahmen
- Begründung: Diese Interventionen sind nach klinischen Leitlinien in den meisten Fällen nicht indiziert.
- Asthma
- unnötige Maßnahmen: Thorax-Röntgenaufnahmen, Antibiotika ohne nachgewiesene bakterielle Infektion
- Begründung: Asthma ist keine bakterielle Erkrankung, Röntgenbilder sind nur bei schwerwiegenden Komplikationen erforderlich.
- Pneumonie (ambulant erworben)
- unnötige Maßnahmen: Gabe von Breitbandantibiotika, Blutkulturen, Bestimmung von CRP oder BSG
- Begründung: Schmalere Antibiotika wie Amoxicillin genügen meist. Blutkulturen nur bei komplizierter CAP.
- Virusinfektionen der oberen Atemwege
- unnötige Maßnahme: Antibiotika.
- Begründung: Virale Infektionen erfordern keine Antibiotikatherapie und führen nur zu Resistenzbildung.
Neurologie
- leichte Kopfverletzungen
- unnötige Maßnahme: CT
- Begründung: CTs sind mit einer erhöhten Strahlenbelastung verbunden. Eine Bildgebung ist nur bei neurologischen Auffälligkeiten nötig.
- Fieberkrämpfe
- unnötige Maßnahmen: CT, MRT, Bestimmung von CRP, BSG oder Elektrolyten
- Begründung: Nur bei komplizierten Verläufen zu erwägen.
- Kopfschmerzen (nicht-traumatisch)
- unnötige Maßnahme: CT, MRT
- Begründung: Bildgebung nur bei neurologischen Auffälligkeiten erforderlich.
Gastroenterologie
- Bauchschmerzen
- unnötige Maßnahme: CT
- Begründung: Strahlenbelastung
- Gastroösophagealer Reflux bei Säuglingen
- unnötige Maßnahme: Behandlung mit Säureblockern
- Begründung: keine klare Evidenz für die Wirksamkeit, potenzielle Nebenwirkungen
Psychiatrische und Verhaltensstörungen
- Antipsychotika
- unnötige Maßnahmen: Gleichzeitige Gabe mehrerer Antipsychotika oder Einsatz bei Kindern unter 5 Jahren.
- Begründung: hohe Nebenwirkungsrate, Anwendung nur in Ausnahmen
Stationäre Versorgung
- komplizierte Infektionen und invasive Maßnahmen
- unnötige Maßnahmen: Venenkatheter für Antibiotikatherapien bei unkomplizierten Infektionen
- Begründung: Orale Antibiotika sind oft ebenso wirksam.
- intensivmedizinische Maßnahmen (NICU)
- unnötige Maßnahmen: Reserveantibiotika ohne Hinweise auf resistente Bakterien.
- Begründung: Spezifische Therapie bevorzugen, um Resistenzen zu verwenden
Strategien zur Reduktion von Low-Value Care
- Erinnerungen und Entscheidungshilfen: Einsatz von Tools, die medizinische Fachkräfte an Behandlungsrichtlinien erinnern.
- Schulungen und Materialverteilung: Workshops, Seminare und Verteilung von Richtlinien an medizinische Fachkräfte
- Audit und Feedback: Rückmeldung an Ärzte zu ihrem Verhalten, um Verbesserungen zu fördern.
- finanzielle Anreize: selten erwähnt, jedoch potenzielles Mittel zur Reduktion nicht notwendiger Behandlungen
- organisatorische Änderungen: Anpassung der Arbeitsabläufe (z.B. multidisziplinäre Teams oder geänderte Bestellverfahren für Tests)
- strukturelle Interventionen: Änderungen im Versorgungsort (z.B. Verlagerung der Versorgung von einem Krankenhaus in eine Allgemeinpraxis).
Herausforderungen und Lösungsansätze
- kulturelle Barrieren: Ein kultureller Wandel hin zu einer evidenzbasierten Versorgung erfordert langfristige Aufklärung und Schulung.
- Mangel an Daten: Eine bessere Datenerhebung und -analyse ist erforderlich, um gezielte Verbesserungen zu ermöglichen.
- Nachhaltigkeit: Langfristige Erfolge hängen von kontinuierlicher Umsetzung und Überwachung ab.
Weiterführende Informationen:
House et al. (2021): Development and use of a calculator to measure pediatric low-value care. JAMA Network Open, 4(12), e2135184.