2.5 Antibiotic Stewardship

11.09.2024


Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die zunehmende Antibiotikaresistenz als eine der größten globalen Gesundheitsbedrohungen ein. Dies ist vergleichbar mit den Auswirkungen von Krieg und Hunger. 

Wie entstehen Resistenzen?
Durch die antibiotische Behandlung entsteht ein Selektionsdruck. Das heißt, wenn Antibiotika zu häufig bzw. Substanzen mit zu breitem Wirkungsspektrum eingesetzt werden, werden zwar die empfindlichen Bakterien abgetötet, es bleiben aber gleichzeitig mehr überlebensfähige (resistente) Bakterien übrig. Gegen diese Bakterien wirken bestimmte Antibiotika schlechter oder nicht mehr.

Was ist Antibiotic Stewardship?
Antibiotic Stewardship ist ein strategischer Ansatz, um die Verwendung von Antibiotika zu optimieren. Dies beinhaltet die Auswahl des passenden Antibiotikums, die Dosierung, die Behandlungsdauer und die Art der Verabreichung. Das Ziel ist es, die Gesundheit der Patienten zu schützen und gleichzeitig die Wirksamkeit von Antibiotika für die Zukunft zu erhalten.

Wer braucht ein Antibiotikum?
Antibiotika helfen gegen Bakterien, nicht gegen Viren. Es sind jedoch beispielsweise ca. 90 % der Atemwegsinfektionen viral bedingt. Dazu zählen auch Infektionen wie eine Bronchitis, eine Mandelentzündung, eine Bindehautentzündung, eine Nebenhöhlenentzündung und eine Mittelohrentzündung.
Auch wenn Infektionen mitunter polymikrobiell verlaufen, also zusätzlich zu den Viren auch Bakterien eine Rolle spielen können, sind Antibiotika oft nicht notwendig. 
Prinzipiell gilt: Vor jeder Behandlung mit einem Antibiotikum sollte reflektiert werden, ob das erkrankte Kind tatsächlich von dieser Therapie profitiert, ohne dass es kurz- oder langfristig Schaden davonträgt.

Kriterien für eine Antibiotikagabe
Bevor in der ambulanten Medizin mit einer Antibiotikatherapie begonnen wird, ist eine eindeutige Indikation und damit eine klare Diagnose notwendig. Dem Arzt muss klar sein, welches Keimspektrum und welche Sensibilitäten er erwartet.

Keine alleinigen Kriterien für eine Antibiotikagabe sind:

  • anhaltendes Fieber
  • erhöhte Entzündungszeichen im Blut
  • Farbe des Sekrets
  • Verlegenheit des Arztes
  • die Erwartungen anderer, z.B. von Eltern oder Gemeinschaftseinrichtungen

Watchful Waiting 
Sofern es der Allgemeinzustand und der Krankheitsverlauf erlauben, verfolgen wir in erster Linie die Strategie des abwartenden Beobachtens (Watchful Waiting) und der differenzierten Entscheidungen (Choosing Wisely).
Das bedeutet, auch Mandelentzündungen (einschließlich Streptokokken und Scharlach), verklebte Augen (einschließlich Konjunktivitis), Ohrenschmerzen (einschließlich Mittelohrentzündungen), Blasenentzündungen, Rötungen nach Insektenstichen und lokale Hautinfektionen (hier bitte primär nur Antiseptika!) sind noch keine Rechtfertigung für eine vorschnelle und undifferenzierte antibiotische Behandlung. Auch der Schutz vor vermeintlichen Komplikationen ist noch kein Grund für eine Antibiotikatherapie.
Natürlich bestehen aber Ausnahmen: z.B. fieberhafte Harnwegsinfekte, sich ausbreitende Hautinfektionen, Borreliose oder eine einseitige Lymphknotenschwellungen mit Rötung.

Auswahl des Antibiotikums
Man unterscheidet zwischen sog. Schmalband- und Breitbandbandantibiotika. 

  • Schmalbandantibiotika wirken gezielt und effektiv: Der Erreger wird eliminiert, während das übrige Mikrobiom weitestgehend intakt bleibt. Sie sollten immer bevorzugt werden.
  • Die Wirkung von Breitbandantibiotika ist weniger effektiv und weniger gezielt. Ihr Einsatz muss zwingend begründet sein, z.B. in der Klinik, wenn bei schweren Krankheitsbildern wie einer Sepsis oder Meningitis noch kein Keimnachweis vorliegt.

Wichtige Antibiotika
Muss eine antibiotische Therapie begonnen werden, empfehlen die Fachgesellschaften der ambulanten Pädiatrie folgende Antibiotikaauswahl:

Indikation Antibiotikum der Wahl
Streptokokken-Angina Penicillin
ambulante Pneumonie Amoxicillin
Mykoplasmen-Pneumonie Tetrazyklin (Doxycyclin), unter 8 Jahren Makrolid (Clarithromycin)
Keuchhusten (Pertussis) Makrolid (Clarithromycin) 
Haut-, Weichteil-, Lymphknoteninfektionen Cephalosporin der 1. Generation (Cefadroxil, Cefalexin)
Harnwegsinfekt ohne Fieber Trimethoprim
Harnwegsinfekt mit Fieber Cephalosporin der 3. Generation (z.B. Cefixim, Cefpodoxim)

Cephalosporine der 2. Generation (z.B. Cefuroxim, Cefaclor) haben in der ambulanten Pädiatrie keinen Stellenwert (schlechte Bioverfügbarkeit, hohe Resistenzentwicklung).

Wichtig: Aufgrund der möglichen Resistenzentwicklung sollte man außerhalb der genannten Indikationen vollständig auf Cephalosporine der 2. und 3. Generation sowie auf Makrolide verzichten. 

Dauer der Antibiotika-Therapie
Die Therapie mit Antibiotika sollte so früh wie möglich beendet werden (Richtlinie: Shorter is better)! Oft reichen bereits 3 bis 5 Tage aus, um eine Therapie abzuschließen. Es ist also nicht zwingend erforderlich, die Packung vollständig einzunehmen. 
Nach wenigen Tagen sollte eine erneute Bewertung der Indikation erfolgen. Bei gutem Allgemeinzustand kann die Therapie im Zweifelsfall auch zügig abgesetzt werden.

Wichtig: Antibiotikaresistenzen entstehen durch den Einsatz von Antibiotika, nicht durch deren Absetzen oder eine zu kurze Gabe.

Antibiotika und Hautausschlag
Auch wenn Patienten bzw. Eltern von allergischen Hautausschlägen nach der Einnahme eines Antibiotikums berichten, sollte man nicht voreilig auf ein alternatives Antibiotikum ausweichen. Die meisten Hautausschläge, die nach der Einnahme von Amoxicillin auftreten, sind in der Regel keine Allergien im klassischen Sinne. Sie sind häufiger Reaktionen auf andere Faktoren, z.B. auf eine Virusinfektion und immunologische Prozesse. Eine elterliche Allergie ist keine Kontraindikation für ein Antibiotikum.

Wichtig: Anamnese prüfen und nachfragen, ob auch weitere Symptome wie Atemnot oder Kreislaufstörungen in diesem Zusammenhang aufgetreten sind.

Antibiotika und Darmflora
Der Einsatz von Antibiotika kann die Darmflora stören und möglicherweise zu diversen chronischen Krankheiten beitragen. Als Kindergastroenterologe ist es mir wichtig, das Mikrobiom zu erhalten. Daher sollten Antibiotika nur dann eingesetzt werden, wenn sie unbedingt notwendig sind. Es ist wichtig, das Mikrobiom so wenig wie möglich zu beeinflussen. Spezielle probiotische Präparate sind klar nicht empfohlen. Die Kinder sollten normal essen!

Merke: Der Einsatz von Antibiotika muss überlegt und für die individuelle Situation fundiert begründet sein. Im Einzelfall ist ein Antibiotikum lebensrettend. 
Der kluge und überlegte Einsatz von Antibiotika, basierend auf einer sorgfältigen Bewertung der individuellen Situation, ist der Schlüssel zu einer effektiven und sicheren Behandlung.

Weiterführende Informationen:

Antibiotische Therapie in der ambulanten Therapie (kompakt)

Antibiotische Therapie in der ambulanten Therapie (Konsensuspapier)

Consilium – Pädiatrie-Podcast: #23 mit Dr. Friedrich Reichert: Antibiotic Stewardship in der ambulanten Pädiatrie