8.7.4 Kleinwuchs und Wachstumsstörungen

16.11.2024


Das kindliche Wachstum ist ein komplexer und individueller Prozess. Nicht jedes Kind wächst gleich schnell. Es gibt große Unterschiede, die oft völlig normal sind. Dennoch kann es in einigen Fällen notwendig sein, Wachstumsstörungen wie Kleinwuchs abzuklären, um mögliche Ursachen rechtzeitig zu erkennen.

Was ist Kleinwuchs?
Kleinwuchs ist medizinisch definiert als eine Körpergröße unterhalb der 3. Perzentile für das jeweilige Alter. 
Etwa 3% aller Kinder in Deutschland sind per definitionem kleinwüchsig, ohne dass dies auf eine Erkrankung hinweisen muss. Häufig handelt es sich um familiären Kleinwuchs oder eine konstitutionelle Wachstumsverzögerung. (Bei einer konstitutionellen Wachstumsverzögerung erfährt das Kind lediglich einen etwas späteren Wachstumsschub erfährt, erreicht aber eine normale Erwachsenengröße.)

Wann besteht Handlungsbedarf?
Das Wachstum eines Kindes sollte über einen längeren Zeitraum betrachtet werden. Eine einmalig geringe Körpergröße ist selten Anlass zur Sorge. Handlungsbedarf besteht in der Regel bei

  • Kindern < 3 Jahren
    • mit einer Körpergröße 5 cm unter der 3. Perzentile
    • mit einer Körpergröße 3 cm unter der 3. Perzentile bei wiederholten Messungen
  • Kindern > 3 Jahre
    • mit deutlicher Wachstumsverzögerung, z.B. Wachstumsgeschwindigkeit < 25. Perzentile
    • mit einer Körpergröße 5 cm unter der 3. Perzentile 
    • mit deutlicher Abweichung von der elterlichen Zielgröße
  • Kindern mit syndromalen Merkmalen, disproportioniertem Körperbau oder fehlendem Aufholwachstum nach einer SGA-Geburt

Wichtig: Nicht jedes Kind, das klein ist, benötigt eine intensive medizinische Abklärung. Viele Kinder wachsen von Natur aus etwas langsamer und holen dies später wieder auf (konstitutionelle Wachstumsverzögerung).

Was macht der Kinderarzt?
Der niedergelassene Kinder- und Jugendarzt übernimmt die wichtige Aufgabe der Basisdiagnostik, um zunächst harmlose Ursachen auszuschließen und nur bei Bedarf eine weiterführende Diagnostik zu veranlassen. Dazu gehören:

  • Wachstumsbeobachtung: Die regelmäßige Messung der Körpergröße und die Überprüfung der Wachstumskurve (Perzentilen) im Vorsorgeheft geben dem Arzt wertvolle Informationen. Eine Abweichung von der Kurve über mehrere Monate kann auf eine Wachstumsstörung hinweisen.
  • Blutuntersuchungen: Im Rahmen der Basisdiagnostik können bestimmte Blutwerte erhoben werden, um häufige Ursachen von Wachstumsstörungen zu erkennen. Dazu gehören:
    • Blutbild zum Ausschluss einer Anämie
    • Schilddrüsenwerte (TSH, fT4), um eine Schilddrüsenunterfunktion zu erkennen
    • Zöliakie-spezifische Antikörper, um Zöliakie als Ursache auszuschließen
    • IGF-1 und IGFBP-3, um Hinweise auf einen möglichen Wachstumshormonmangel zu erhalten
  • Knochenalter: Eine Röntgenaufnahme der linken Hand kann helfen, das Knochenalter zu bestimmen. Ein verzögertes Knochenalter weist oft auf eine konstitutionelle Wachstumsverzögerung.

Weiterführende Diagnostik
Besteht der Verdacht auf einen Wachstumshormonmangel (growth hormone deficiency, GHD), erfolgt eine spezialisierte Diagnostik:

  • Wachstumshormon-Stimulationstests: Hierbei wird überprüft, ob der Körper auf bestimmte Reize wie Arginin oder Clonidin mit einer vermehrten Ausschüttung von Wachstumshormon reagiert. Da das Wachstumshormon pulsatil ausgeschüttet wird, sind mehrere Blutentnahmen notwendig, die in der Regel stationär durchgeführt werden.
  • Genetische und bildgebende Untersuchungen (MRT der Hypophyse) können ergänzend durchgeführt werden, um genetische Ursachen oder strukturelle Probleme der Hypophyse auszuschließen.

Therapie von Wachstumsstörungen
Die Entscheidung, ob eine Therapie notwendig ist, hängt von der Ursache des Kleinwuchses ab:

  • idiopathischer Kleinwuchs: Hier besteht oft kein Behandlungsbedarf. Diese Kinder wachsen entsprechend ihrer genetischen Veranlagung, auch wenn sie kleiner sind als ihre Altersgenossen.
  • Wachstumshormonmangel (GHD): Bei nachgewiesenem Wachstumshormonmangel kann eine Behandlung mit rekombinantem Wachstumshormon (rhGH) erfolgen. Dies sind regelmäßige subkutane Injektionen, die über Jahre durchgeführt werden müssen, um das Wachstum zu fördern.
  • syndromaler Kleinwuchs: Auch bei Erkrankungen wie dem Turner-Syndrom kann Wachstumshormon verabreicht werden. Andere Wachstumsstörungen wie Achondroplasie werden in speziellen Fällen mit einem CNP-Analogon behandelt.

Wichtig: In den meisten Fällen, insbesondere bei idiopathischem Kleinwuchs oder konstitutioneller Wachstumsverzögerung, reicht es aus, das Wachstum zu beobachten und keine sofortige Therapie einzuleiten.

Weiterführende Informationen:
Kleinwuchs, Update für S1-Leitlinie Nr. 174-004