8.8.1 Anämie

18.11.2024


Was ist eine Anämie?
Eine Anämie bezeichnet die Verminderung der Hämoglobinkonzentration unter den alters- und geschlechtsentsprechenden Normbereich. 

Normwerte
Die Normwerte werden alters- und geschlechtsspezifisch festgelegt (siehe hierzu PedRef).
Hinweis: Insbesondere bei Säuglingen und in der Pubertät variieren die Normwerte deutlich.

Symptomatik – Wann ist eine Abklärung erforderlich?
„Red flags“ für eine Anämie, die eine Blutentnahme rechtfertigen, sind:

  • Tachykardie oder Belastungsdyspnoe
  • deutliche und anhaltende Blässe
  • unerklärte Gedeihstörungen
  • chronische Blutverluste (z.B. starke Menstruationsblutungen oder gastrointestinale Blutungen)
  • klinisch auffällige Müdigkeit, die den Alltag beeinträchtigt

Unspezifische Symptome wie gelegentliche Müdigkeit oder Konzentrationsprobleme sind selten allein Indikatoren für eine Anämie und sollten nicht zur übermäßigen Diagnostik führen.

Basisdiagnostik
Besteht nach klinischer Bewertung der Verdacht auf eine Anämie, werden routinemäßig folgende Parameter bestimmt: Hb, Hkt, MCV, MCH, Ferritin, Retikulozyten.

Weiterführende Diagnostik
Bei unklaren Befunden oder therapierefraktären Fällen ist eine weiterführende Diagnostik erforderlich. Häufige Ursachen, die weiter abgeklärt werden sollten, sind:

  • Malabsorption (z.B. Zöliakie, entzündliche Darmerkrankungen)
  • chronische Entzündungen
  • Thalassämie: Insbesondere bei Kindern mit mediterraner, afrikanischer oder asiatischer Herkunft sollte eine Hb-Analyse in Erwägung gezogen werden.
  • Eisenresorptionsstörungen (z.B. IRIDA = iron-refractory iron deficiency anemia), bei der die Eisenaufnahme trotz Substitution nicht verbessert wird.

 

Therapie der Eisenmangelanämie
Die häufigste Anämie-Ursache im Kindesalter ist eine Eisenmangelanämie.

Orale Substitution
Die Behandlung erfolgt durch orale Eisensubstitution. Als Präparate werden Eisen(II)-sulfat oder Eisen(II)-fumarat empfohlen. 
Die Dosierung richtet sich nach dem Körpergewicht des Kindes und liegt bei 2 mg/kg Körpergewicht pro Tag in einer Einzeldosis (zum Vergleich: 60 mg beim Erwachsenen, Moretti et al., 2015). Eine zu hohe Dosis von Eisen erhöht den Hepcidin-Spiegel, was die Eisenaufnahme verringert und gleichzeitig das Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen erhöht (Ganz, 2010).

Hinweis: Neuere Studien zeigen, dass eine Gabe an alternierenden Tagen zu einer besseren Resorption führen kann, da die Hepcidin-Serumkonzentration nach einer Eisengabe für ca. 24 Stunden erhöht bleibt. Das Peptidhormon Hepcidin würde bei der täglichen Eisensubstitution die Aufnahme der nächsten Dosis hemmen.

Hinweis auf Therapieerfolg
Etwa 5–7 Tage nach Therapiebeginn sollte ein Anstieg der Retikulozytenzahl (Retikulozytenkrise) zu beobachten sein, der insbesondere bei schwerem Eisenmangel eintritt. Das Hämoglobin sollte um ca. 1–2 g/dl pro Woche ansteigen.

Therapiedauer
Die Eisensubstitution sollte mindestens 12 Wochen (bei schwerem Mangel mindestens 3 Monate) fortgesetzt werden, um die Eisenspeicher aufzufüllen und den Hb-Wert sowie das MCV zu normalisieren. Eine Kontrolle des Serumferritins nach 3 Monaten hilft bei der Beurteilung der Eisenspeicher.

Prophylaktische Eisengabe
Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht < 1500 g sollten bis zum ersten Geburtstag eine prophylaktische Eisensubstitution erhalten (ESPGHAN 2022)
Bei nicht frühgeborenen Kindern ist eine prophylaktische Gabe unnötig und wegen der nachteiligen Auswirkungen auf das Wachstum sogar kontraindiziert (Idjradinata et al., 1994).

Eisengabe während eines Infekts
Während eines Infekts sollte die Eisensubstitution pausiert werden. Hintergrund: Akute Infektionen und entzündliche Prozesse stimulieren die Hepcidinproduktion signifikant. Die Erhöhung von Hepcidin reduziert die Eisenaufnahme im Darm und blockiert die Eisenfreisetzung aus den Speicherzellen (z.B. Makrophagen), wodurch die Eisenverfügbarkeit im Blutkreislauf absinkt. Dies erschwert Pathogenen den Zugang zu Eisen, das sie für ihr Wachstum benötigen. Dieser Mechanismus wird als „nutritional immunity“ bezeichnet (Drakesmith et al, 2012). Eine zusätzliche Eisengabe während eines Infekts könnte diesen Mechanismus untergraben.

Wann ist eine Überweisung indiziert?
Eine Überweisung an ein pädiatrisch-hämatologisches Zentrum sollte erwogen werden bei:

  • starker Anämie (Hb > 3 g/dl unter Norm)
  • Therapierefraktärität trotz ausreichender oraler Eisengabe
  • unklaren Diagnose, z.B. genetische Eisenstoffwechselstörungen oder komplexe hämolytische Anämien

Weiterführende Informationen:
S1-Leitlinie Anämiediagnostik im Kindesalter (AWMF 025/027 – 05/2024)
S1-Leitlinie Eisenmangelanämie (AWMF Leitlinie 025/021)