5.5 Vegetarische und vegane Ernährung

30.06.2024


Der Vegetarismus bietet mehrere Ernährungsvarianten, die in unterschiedlichem Maße auf tierische Produkte verzichten:

  • Ovovegetarier meiden Fleisch, Fisch und Milchprodukte, essen aber Eier.
  • Laktovegetarier meiden Eier, Fleisch und Fisch, verzehren aber Milchprodukte.
  • Veganer meiden alle tierischen Produkte, einschließlich Eier, Milchprodukte und Honig.

Menschen entscheiden sich aus ethischen, ökologischen oder gesundheitlichen Gründen für eine vegetarische oder vegane Ernährung, z.B. um Krankheiten vorzubeugen und ihre Lebensqualität zu verbessern. Studien zeigen, dass eine vegetarische Ernährung das Risiko für ernährungsbedingte Krankheiten wie Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, bestimmte Krebsarten und rheumatoide Arthritis senken kann. Diese Vorteile ergeben sich häufig aus einem niedrigeren Blutdruck, einem verbesserten Lipidprofil und einem niedrigeren BMI.

Vegetarische Ernährung im Wachstum
Kinder, die sich vegetarisch ernähren, sind in den ersten fünf Lebensjahren tendenziell leichter, schlanker und kleiner als Kinder, die omnivor ernährt werden. Dies liegt daran, dass eine vegetarische Ernährung einen niedrigeren Energiegehalt, einen höheren Ballaststoffgehalt und komplexere Kohlenhydrate aufweist. Dies kann sich günstig auf den BMI auswirken und zu einer geringeren Prävalenz von Adipositas sowohl im Kindes- als auch Erwachsenenalter führen. 

Es ist jedoch wichtig, auf die Zufuhr kritischer Nährstoffe zu achten, um sicherzustellen, dass eine ausgewogene vegetarische Ernährung den Bedürfnissen des wachsenden Organismus entspricht und zu einem normalen Wachstum führen kann. 

Vitamin B12
Die Versorgung mit Vitamin B12 ist besonders wichtig für Schwangere, Stillende, Säuglinge und Kleinkinder.
Vegan lebende Menschen können ihren Bedarf an Vitamin B12 nicht ohne die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln decken. Deshalb ist es während der Schwangerschaft und Stillzeit notwendig, den Vitamin-B12-Status regelmäßig zu kontrollieren.
Wenn die Mutter ausreichend mit Vitamin B12 versorgt ist, benötigen gestillte Säuglinge oder Säuglinge, die mit industrieller Säuglingsanfangsnahrung ernährt werden, keine zusätzliche Supplementierung.

Vegane Ernährung von Kindern
Wichtig: Für Kinder ist eine vegane Ernährung aufgrund der notwendigen Nährstoffsupplementierung nicht empfohlen.
Wenn Eltern sich dennoch für eine vegane Ernährung ihres Kindes entscheiden, ist eine Supplementierung mit Vitamin B12 sowie eine regelmäßige ärztliche Kontrolle des Vitamin-B12-Status notwendig.

Kontrolle des Vitamin-B12-Status
Dabei werden Holo-Transcobalamin (Holo-TC) und Methylmalonsäure (MMA) als Marker verwendet, da der Vitamin-B12-Spiegel selbst nicht geeignet ist für eine Beurteilung.

Supplementierung
Die Dosierung von Vitamin-B12-Präparaten für Säuglinge und Kleinkinder sollte nach speziellen Dosierungsschemata erfolgen und eine diätetische Beratung in Anspruch genommen werden.

Omega-3-Fettsäuren
Omega-3-Fettsäuren sind für die Gesundheit des zentralen Nervensystems und des Herz-Kreislauf-Systems von entscheidender Bedeutung, insbesondere für schwangere und stillende Frauen sowie für Säuglinge und Kleinkinder. Vegetarier und Veganer können Alpha-Linolensäure (ALA), eine Vorstufe der Docosahexaensäure (DHA), aus pflanzlichen Quellen wie Lein-, Raps- und Walnussöl beziehen. Schwangere und stillende Frauen sollten ihre DHA-Aufnahme erhöhen, da die DHA-Konzentration in der Muttermilch von der Ernährung der Mutter abhängt und für die Gehirnentwicklung des Kindes von großer Bedeutung ist.

Die Muttermilch versorgt den Säugling ausreichend mit DHA, sofern die Mutter genügend DHA zu sich nimmt. Auch Säuglingsanfangsnahrung sollte DHA enthalten. Es wird empfohlen, eine kontinuierliche Zufuhr von DHA vom 6. Lebensmonat bis zum Ende des zweiten Lebensjahres sicherzustellen. Bei älteren Kindern kann die Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren durch den Verzehr von Pflanzenölen, die reich an Omega-3-Fettsäuren sind, und gegebenenfalls durch die Supplementierung mit Mikroalgenöl sichergestellt werden, um die empfohlene Zufuhr von DHA und Eicosapentaensäure (EPA) zu erreichen.

Kalzium
Kalzium ist für die Gesundheit von schwangeren und stillenden Frauen sowie von Säuglingen und Kleinkindern essenziell. Insbesondere Frauen, die sich vegan ernähren, sollten auf eine ausreichende Kalziumzufuhr achten. Diese kann durch den Verzehr kalziumreicher pflanzlicher Lebensmittel, den Konsum von angereicherten Produkten und das Trinken von kalziumhaltigem Mineralwasser erreicht werden. Für Säuglinge stellt Muttermilch, auch die von vegan ernährten Müttern, eine optimale Kalziumquelle dar. Säuglingsnahrungen, die auf Kuhmilchprotein oder Soja basieren, enthalten ausreichend Kalzium.

Es ist wichtig, eine angemessene Kalziumzufuhr sicherzustellen, wenn Beikost eingeführt wird, und dies sollte bis zum Ende des ersten Lebensjahres fortgesetzt werden.
Kinder, die sich vegetarisch ernähren und Milchprodukte konsumieren, decken in der Regel ihren Kalziumbedarf gut ab. Ab der Beikostphase kann kalziumreiches Mineralwasser zur Optimierung der Kalziumversorgung beitragen.

Vitamin D
Die Zufuhr von Vitamin D ist für verschiedene Altersgruppen, insbesondere während der Schwangerschaft, Stillzeit und Kindheit, wichtig. Wenn schwangere und stillende Frauen wenig Sonnenlicht ausgesetzt sind, kann eine Vitamin-D-Supplementierung empfohlen werden, um eine unzureichende endogene Synthese auszugleichen. Bei ausreichender Sonnenbestrahlung kann der Bedarf an Vitamin D ohne Supplemente gedeckt werden.

Für Säuglinge, sowohl gestillte als auch nicht gestillte, ist eine Vitamin-D-Supplementierung im gesamten ersten Lebensjahr und bei im Winter geborenen Kindern über den zweiten Lebenswinter hinweg ratsam. Diese Empfehlung gilt unabhängig von der Vitamin-D-Zufuhr durch Muttermilch oder Säuglingsmilchnahrungen. Muttermilch hat einen niedrigeren Vitamin-D-Gehalt, während Säuglingsnahrungen in der Regel mit Vitamin D angereichert sind.

Eisen
Die Eisenzufuhr ist für schwangere und stillende Frauen sowie für Säuglinge und Kleinkinder von großer Bedeutung. Während der Schwangerschaft und Stillzeit erhöht sich der Eisenbedarf. Wenn ein Eisenmangel nachgewiesen wurde, wird die Einnahme eines Eisenpräparats empfohlen.

In den ersten Lebensmonaten sind gestillte, reifgeborene Kinder in der Regel ausreichend mit Eisen versorgt. Wenn das Stillen nicht möglich ist, sollten industrielle Anfangsmilchfertignahrungen mit Eisenanreicherung verwendet werden. Kinder, die ein erhöhtes Risiko für Eisenmangel haben, wie zum Beispiel Frühgeborene oder Reifgeborene mit niedrigem Geburtsgewicht, sollten zusätzlich eine Eisensupplementierung erhalten.

Bei der Einführung von Beikost sollte auf eisenreiche Quellen geachtet und die Kombination mit Vitamin C zur besseren Eisenabsorption empfohlen werden. Wenn industriell hergestellte Babynahrung verwendet wird und keine Vitamin-C-Quellen enthalten sind, ist die Zugabe von Vitamin C, z.B. durch Orangensaft, sinnvoll. 

Merke: Milchprodukte nicht mit eisenhaltigen Mahlzeiten kombinieren, da dies die Eisenabsorption beeinträchtigen könnte.

Proteine
Die Proteinzufuhr ist ein wesentlicher Aspekt der Ernährung für schwangere und stillende Frauen sowie für Säuglinge und Kleinkinder. Ovolaktovegetarierinnen decken in der Regel ihren Proteinbedarf ohne Schwierigkeiten. Bei veganer Ernährung sollte auf eine vielfältige Auswahl pflanzlicher Proteinquellen und eine ausreichende Kalorienzufuhr geachtet werden.

Für Säuglinge ist Muttermilch von Müttern mit einer ausgewogenen vegetarischen Ernährung eine bedarfsgerechte Proteinquelle. Säuglingsanfangsnahrungen auf Basis von Kuhmilchprotein oder Soja sind für Säuglinge geeignet. 
Pflanzliche Milchersatzgetränke wie Reis- oder Mandeldrinks sollten vermieden werden.

Im Kleinkindalter kann der Proteinbedarf durch eine Kombination von tierischen und pflanzlichen Eiweißquellen gedeckt werden, wie es bei einer ovolaktovegetarischen Ernährung der Fall ist. Diese Kombination stellt eine adäquate Proteinquelle dar und deckt den Bedarf von Kleinkindern.

Jod
Die Jodzufuhr ist besonders wichtig für schwangere und stillende Frauen, Säuglinge und Kinder. Um den Jodbedarf zu decken, sollten Schwangere und Stillende Jodsalz im Haushalt verwenden, Milchprodukte konsumieren und gelegentlich Meeresalgen wie Nori essen. Wenn nötig, können auch Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden. 

Hinweis: Algenprodukte mit sehr hohem Jodgehalt sollten jedoch gemieden werden.

Gestillte Säuglinge erhalten ausreichend Jod, wenn die Mutter ihren Jodbedarf deckt und zusätzlich die empfohlenen 100 μg pro Tag einnimmt. Nichtgestillte Säuglinge sind mit kommerzieller Anfangsmilchfertignahrung adäquat versorgt. Bei selbsthergestellter Beikost ist auf die Jodzufuhr zu achten, da diese in der Regel jodarm ist.
Eine ausreichende Jodzufuhr für Kinder wird durch den regelmäßigen Verzehr von Milch und den Gebrauch von Jodsalz im Haushalt gewährleistet.

Zink
Die Zinkzufuhr ist für schwangere und stillende Frauen sowie für Säuglinge und Kleinkinder wichtig. Schwangere und stillende Frauen, die sich ausgewogen ovolaktovegetarisch ernähren, decken in der Regel ihren Zinkbedarf. Bei einer veganen Ernährung kann die Bioverfügbarkeit von Zink durch geeignete Zubereitungsverfahren verbessert werden.

Milchprodukte sind eine wichtige Quelle für Zink. Bei pflanzlichen Zinkquellen ist es ratsam, Zubereitungsverfahren anzuwenden, die die Aufnahme von Zink verbessern.
Eine Zinksupplementierung wird für Kinder mit vegetarischer Ernährung nicht generell empfohlen. Stattdessen sollte der Schwerpunkt auf einer ausgewogenen Ernährung liegen, die natürliche Zinkquellen beinhaltet.

Fazit
Eine ovolaktovegetarische Ernährung gewährleistet eine ausgewogene Nährstoffversorgung weitgehend. Es ist jedoch wichtig, im ersten Lebensjahr des Kindes die übliche Vitamin-D-Gabe und während der Stillzeit eine angemessene Jodversorgung zu beachten.

Bei einer veganen Ernährung ist es unerlässlich, eine adäquate Ernährungsberatung durch Fachexperten zu erhalten. Dies stellt sicher, dass alle Nährstoffbedürfnisse erfüllt werden, insbesondere jene, die bei einer veganen Diät schwieriger zu decken sind. Zusätzlich sind regelmäßige Kontrollen notwendig, um sicherzustellen, dass sowohl die stillende Mutter als auch das Kind alle essenziellen Nährstoffe in ausreichender Menge erhalten. 

Aufgrund der Notwendigkeit einer Nährstoffsupplementierung und der fehlenden Evidenz zur angemessenen Höhe der Vitamin-B12-Supplementierung wird eine vegane Ernährung im Kindesalter nicht empfohlen.

Weiterführende Informationen:

Rudloff, S., Bührer, C., Jochum, F. et al. Vegetarische Kostformen im Kindes- und Jugendalter. Monatsschrift Kinderheilkunde 166, 999–1005 (2018)

Kalhoff, H., Lücke, T. & Kersting, M. Praktische Beratung und Betreuung bei vegetarischer Kinderernährung. Monatsschrift Kinderheilkunde 167, 803–812 (2019)

Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde., Plank, R. Sicherheit und Risiken vegetarischer und veganer Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit und den ersten Lebensjahren. Monatsschrift Kinderheilkunde 167 (Suppl 1), 22–35 (2019)