In diesem Kapitel werden Themen behandelt, die man im Studium der Humanmedizin und auch während der Tätigkeit in der Klinik nicht ohne weiteres erlernt. Erst durch den zahlreichen Kontakt und die Konfrontation in der Kinder- und jugendärztlichen Praxis und letztendlich durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Kindern entwickelt sich das Verständnis für zahlreiche Herausforderungen, die ein heranwachsender kleiner Mensch mit sich bringt.
In der Notaufnahme empfiehlt man der unerfahrenen Familie mit erstem Säugling auf die Schnelle entblähende Tropfen, homöopathische Kümmelzäpfchen oder Probiotika und hat sie nach wenigen Minuten wieder aus der Betreuung entlassen. Im Zweifel darf noch der Osteopath heran, der durch manuelle Techniken angebliche Blockaden oder Verspannungen zu lösen versucht. Innerhalb weniger Monate verlagert sich der Fokus von vermuteten Bauchbeschwerden hin zu zahnungsbedingten Unannehmlichkeiten und die Zahnungsgels kommen zum Einsatz.
Natürliche Entwicklung
Der Mensch neigt dazu, nach konkreten Ursachen für Probleme zu suchen und erwartet dementsprechend spezifische Lösungen zu finden. Häufig jedoch entziehen sich diese Herausforderungen einer einfachen Erklärung oder Lösung. Aus der Praxis mit vielen Familien und den Erfahrungen mit den eigenen Kindern kristallisiert sich eine tiefgreifende Erkenntnis heraus: Oftmals müssen wir akzeptieren, dass manche Zustände und Verhaltensweisen Teil natürlicher Entwicklungsprozesse sind, ob wir sie nun als Wachstumsschübe, Phasen oder Entwicklungssprünge bezeichnen. Diese Phänomene sind nicht immer konkret fassbar, bilden aber einen wesentlichen Bestandteil des kindlichen Wachstums und der Entwicklung.
Große Herausforderungen sind die Themen Schlaf und Essen. Von der Säuglingsphase bis zum Schulalter kann das Kleine beim Einschlafen und wiederholt in der Nacht auf einen Elternteil angewiesen sein. Beim Essen verweigern die Kinder die Beikost, es landet mehr Nahrung ums Kind statt im Kind. Die Kinder haben im Verlauf unterschiedliche Vorstellungen, was und wieviel sie essen wollen. Die erste Autonomiephase setzt sein. „Nein“ wird zum Hauptwort und nichts kann man mehr Recht machen.
Was tun?
Bei all den bislang genannten Themen wird man sich vor allem im Nachhinein eingestehen müssen, dass es keine offensichtlichen Lösungen gibt. Es mündet häufig darin, sich möglichst gelassen die Zeit zu nehmen, den Dingen seinen Lauf zu lassen. Den Kindern klare Grenzen zu setzen, ihnen Sicherheit zu geben und sie liebevoll zu begleiten auf dem Weg der Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung.
Wichtiger als das Erklären ist für Kinder und Jugendliche das Vorleben. Bewusste Ernährung und Bewegung müssen den Kindern angeboten werden. Das richtige Medienverhalten muss verständlich vermittelt und vor allem vorgelebt werden. Das sind Bereiche, die das gesamte Leben eines jeden einzelnen Individuums nachhaltig beeinflussen. Es lohnt sich, in diese Kompetenzen zu investieren. Ein Kind ist auch eine hervorragende Gelegenheit, seinen eigenen Lebensstil zu überdenken und zu optimieren.