In unserer immer komplexer werdenden Welt ist es wichtig, sich dem Thema Essen entspannt und mit Freude zu nähern. Der Alltag von Kindern ist oft so ausgefüllt und reich an Eindrücken, dass sie beim Essen zu ihren vertrauten Gewohnheiten tendieren und Neues eher meiden. In einer Welt, die bereits so viele Herausforderungen bereithält, suchen Kinder beim Essen vorwiegend nach Ruhe und Vertrautheit.
Kinder sind individuell und haben unterschiedliche Bedürfnisse. Menschen haben unterschiedliche Talente, sei es für Musik, Sport oder Essen. Ein Talent bedeutet nicht zwangsläufig, dass man etwas besser kann, sondern dass der Energieaufwand, um etwas zu tun, geringer ist. Ein talentierter Esser ist offen für Neues.
Kinder zu nichts zwingen
Kinder sollte man nicht zum Probieren zu zwingen, da dies langfristig zu einer Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel führen kann. Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 wird die Selbstbestimmung von Kindern gestärkt, indem ihre Beteiligung an Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, hervorgehoben wird. Es wird anerkannt, dass Kinder eigene Ansichten haben und äußern können, die in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden müssen. Der Teller ist privat und der Mund ist intim. In diesen persönlichen Bereich sollte niemand ungebeten eindringen. Man kann zum Flirten mit den Lebensmitteln animieren, doch die letztendliche Entscheidung, ob und was sie essen, sollte allein bei den Kindern liegen.
Kinder sollten essen, weil sie Lust darauf haben – vielleicht, weil das Essen heute besonders bunt aussieht oder weil sie einfach mutig genug sind, etwas Neues auszuprobieren. Das Ziel ist, dass sie nach ihrem eigenen Gefühl entscheiden, was und wann sie etwas essen möchten, nicht weil sie dazu gedrängt werden. Kein Erwachsener möchte zum Essen gezwungen werden, und bei unseren Kindern ist das nicht anders.
Ein Nachtisch sollte als Genussmittel betrachtet werden und nicht als Instrument der Erziehung dienen. Es ist wichtig, Kindern das Essen nicht vorzuenthalten. Stellen wir uns vor, ein Partner würde beim gemeinsamen Essen den Nachtisch verbieten – eine solche Bevormundung wäre inakzeptabel. Und doch müssen Kinder oft solche Einschränkungen erleben. Dies steht im Widerspruch zu einem respektvollen Umgang. Eltern haben zwar eine natürliche Autorität, aber die Ausübung dieser Macht, insbesondere durch Einschränkungen bei der Ernährung, ist unfair und nicht angemessen. Vielmehr zeigt es oft eine Form der Hilflosigkeit. Stattdessen sollten Eltern eine Umgebung schaffen, in der Kinder sich einbezogen fühlen und selbst entscheiden können, was sie essen möchten.
Umgang mit wählerischen Kindern
Es ist realistisch anzunehmen, dass ein Kind möglicherweise nur fünf verschiedene Lebensmittel regelmäßig zu sich nimmt. Das ist auch in Ordnung, solange diese nicht jeden Tag auf dem Tisch stehen müssen. Eine stets verfügbare, gesunde Option ist gutes, frisches Vollkornbrot, das viele Nährstoffe bietet und bei jeder Mahlzeit von Anfang an auf dem Tisch stehen sollte. So bleibt das Kind ein integrierter Teil der Essensgemeinschaft, ohne dass es nötig ist, während der Mahlzeit speziell für das Kind aufzustehen und es somit aus der Gemeinschaft auszuschließen.
Das Ziel ist, dass Kinder sich zugehörig und wertgeschätzt fühlen. Auch wählerische Esser finden in der Regel in jeder Lebensmittelgruppe mindestens eine Sache, die sie gerne essen. Es ist wichtig, diese Vielfalt zu erkennen und zu unterstützen, um den Kindern ein ausgewogenes Ernährungsangebot zu bieten.
Wenn ein Kind gerne Gurken isst, aber andere Lebensmittel meidet, sollten Gurken häufiger angeboten werden. Im Kontext der Ernährung ist es wichtig, die Vorlieben des Kindes zu berücksichtigen. Es ist sinnvoll, das zu fördern, was dem Kind Freude bereitet und guttut, anstatt es zu Dingen zu drängen, die es nicht mag. Indem wir das unterstützen, was bei jedem Kind gut läuft, fördern wir ein gesundes Selbstbild und motivieren das Kind, seine Interessen und Vorlieben weiter zu erforschen und zu entwickeln.
Kinder miteinbeziehen
Bei der Ernährung sollten Gemüse, Getreide und Kartoffeln reichlich auf den Tisch kommen, während bei Fett, tierischen Produkten und Süßigkeiten Zurückhaltung geübt werden sollte. Es ist wichtig, dass Erwachsene hierbei stets als Vorbild agieren. In der Esserziehung ist es wichtig, Kinder aktiv zu beteiligen. Die Erwachsenen legen fest, was, wann und wie angeboten wird. Die Entscheidung, ob und wie viel davon gegessen wird, überlassen wir den Kindern. Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, eine strukturierte Umgebung zu schaffen, in der gesunde Ernährungsgewohnheiten gefördert werden.
Die Offenheit von Kindern gegenüber verschiedenen Lebensmitteln ist grundsätzlich groß; selten lehnen sie Speisen kategorisch ab. Die Verantwortung für eine ausgewogene Ernährung liegt zunächst bei den Eltern. Wenn Kinder sich hauptsächlich von Chicken-Nuggets und Pommes ernähren, sollten Eltern sich fragen, wie es dazu kommt. Der Weg zu einer vielfältigeren Ernährung beginnt bereits beim gemeinsamen Einkauf. Indem Kinder in den Einkaufsprozess einbezogen und mit kleinen Aufgaben betraut werden, lernen sie die Vielfalt der Lebensmittel kennen. Ein praktisches Beispiel ist die Entdeckungsreise durch die Welt der Äpfel. Kinder können die unterschiedlichen Sorten nach Farbe, Form und Textur erkunden und entscheiden, wie viele von jeder Sorte mitgenommen werden sollen.
Zu Hause bietet sich die Gelegenheit, gemeinsam zu überlegen und zu entscheiden, was mit den Äpfeln geschehen soll. Werden sie aufgeschnitten, zu Mus verarbeitet oder vielleicht in Pfannkuchen integriert? Solche „Flirtmöglichkeiten“ mit Lebensmitteln fördern nicht nur die Neugierde, sondern auch das gemeinsame Zubereiten stärkt das Erlebnis. Kinder sollten die Möglichkeit haben, Lebensmittel mit allen Sinnen zu erfahren: sehen, fühlen, hören, riechen und erst ganz zum Schluss schmecken. Diese Herangehensweise unterstützt nicht nur eine gesunde Ernährungsweise, sondern stärkt auch die familiäre Bindung und das gemeinsame Erlebnis rund um das Essen.
Neues mit Bekanntem verbinden
Kinder, die im Vergleich zu Erwachsenen weniger Erfahrungen mit verschiedenen Lebensmitteln gemacht haben, profitieren davon, wenn Vertrautes mit Neuem verknüpft wird. Dieser Ansatz kann dazu beitragen, dass ihnen Unbekanntes vertrauter und somit ansprechender erscheint. Wenn ein Kind beispielsweise sehr einseitige Essgewohnheiten hat und vorrangig Pizza bevorzugt, könnte man diese zusammen mit einem Möhrensalat anbieten. Dabei liegt der Fokus nicht zwangsläufig darauf, den Salat zu verzehren, sondern vielmehr darauf, eine angenehme Essenssituation zu schaffen, die die Pizza begleitet. Diese positive Assoziation kann dazu führen, dass der Möhrensalat in Zukunft als vertrauenswürdig und vielleicht sogar als ansprechend wahrgenommen wird.
Komponentenessen
Des Weiteren bietet das Konzept des Komponentenessens eine Möglichkeit, Kindern die einzelnen Bestandteile einer Mahlzeit näherzubringen. Durch das separate Servieren der verschiedenen Zutaten können Kinder klar erkennen, was vor ihnen liegt und haben die Gelegenheit, jede Komponente individuell zu entdecken. Dieser Ansatz respektiert die Eigenheiten kindlicher Neugier und ermöglicht es ihnen, neue Geschmäcker in ihrem eigenen Tempo zu erkunden, ohne von der Komplexität eines zusammengesetzten Gerichts überwältigt zu werden.
Der Geschmack ist entscheidend
Für Kinder steht der unmittelbare Geschmack im Vordergrund: Entweder es schmeckt ihnen oder nicht. Die Konzepte von Gesundheit oder Vitamin-Gehalt spielen in ihrer Entscheidungsfindung eine untergeordnete Rolle. Erwachsene treffen ihre Essensauswahl oft aufgrund rationaler Überlegungen, während Kinder in der Regel intuitiv handeln und ihre Entscheidungen auf dem unmittelbaren Geschmackserlebnis basieren.
Essen als „Problemlöser“
Wenn ein Kind mehr isst, als es benötigt, kann dies ein Versuch sein, ein zugrunde liegendes Problem zu lösen. Wenn man ihm einfach das Essen wegnimmt, entzieht man ihm gleichzeitig diesen Lösungsansatz. Stattdessen ist es wichtig, das Problem zu identifizieren, das das Kind zu bewältigen versucht. Dieses Kompensationsverhalten kann ein Indikator dafür sein, dass das Kind in anderen Bereichen Schwierigkeiten hat. Kinder greifen oft zu Aktivitäten, die sie gut beherrschen und die ihnen Freude bereiten, wie zum Beispiel Essen.
Hinter diesem Verhalten könnte der Wunsch nach Kommunikation stehen, der Ausdruck einer Beziehungsproblematik sein oder das Bedürfnis, etwas Besonderes zu erleben. Essen wird oft als bedingungslos liebend empfunden und bietet Trost, ohne Gegenleistung zu fordern. Es kann eine Strategie sein, um emotionale Belastungen zu bewältigen. Möglicherweise nutzt das Kind das Essen auch als Bereich, in dem es sich als kompetent erlebt, um Defizite in motorischen oder kognitiven Bereichen auszugleichen.
Der Fokus sollte auf dem Positiven liegen, auf dem, was gut läuft. Dies ist entscheidend für eine gesunde Entwicklung und Selbstwahrnehmung. Anstatt uns auf Schwierigkeiten oder Defizite zu konzentrieren, sollten wir uns auf die Stärken und Vorlieben der Kinder konzentrieren. Wenn ein Kind beispielsweise in Mathematik und Zeichnen begabt ist, sollten wir diese Fähigkeiten fördern und unterstützen. Das Ziel ist es, dem Kind so viel Positives zu vermitteln, dass es keine Notwendigkeit sieht, eventuelle Herausforderungen durch Essverhalten zu kompensieren.
Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen
Jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse in Bezug auf Eiweiß, Fette, Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralstoffe. Es gibt physische Bedürfnisse wie Sättigung, Durst, Schlaf und Fortpflanzung sowie psychische Bedürfnisse nach Beziehung (auch beim gemeinsamen Essen), Orientierung, Lust und dem Empfinden von Selbstwirksamkeit. Es ist wichtig, dass diese psychischen Bedürfnisse von Kindern während der Mahlzeiten berücksichtigt und befriedigt werden.
Während Wünsche immer verhandelbar sind, sind Bedarf und grundlegende Bedürfnisse feststehend und nicht diskutabel. Kompensatorisches Verhalten wie Überessen oder Nahrungsverweigerung signalisiert, dass hier Handlungsbedarf besteht. Eltern erkennen diese Zeichen oft nicht, da sie von ihrer tiefen Liebe und Sorge getrieben sind und sich zu sehr auf die Erfüllung vermeintlicher Bedürfnisse ihres Kindes konzentrieren, ohne dessen tatsächliches Verhalten zu hinterfragen.
Was können Eltern tun?
Eltern sollten sich immer wieder in die Position des Kindes versetzen und die Welt aus seiner Perspektive betrachten. Dieser Ansatz fördert ein tieferes Verständnis für die Bedürfnisse und das Verhalten des Kindes und ermöglicht einen respektvollen und unterstützenden Umgang bei der gemeinsamen Mahlzeitengestaltung.
Der Schlüssel zu einem gesunden Ernährungsverhalten und einer positiven Einstellung zum Essen liegt in uns selbst. Wir sollten nicht von unseren Kindern verlangen, was wir selbst nicht vorleben können.
Eine entspannte Einstellung zum Essen lässt sich durch eine Änderung unserer Haltung erreichen. Wir kochen in erster Linie für uns und laden unsere Kinder als Gäste an unseren Tisch ein. Essen ist viel mehr als nur die Unterscheidung zwischen „lecker“ und „nicht lecker“ oder „viel“ und „wenig“. Es bietet zahlreiche Gelegenheiten zum gemeinsamen Anbau von Lebensmitteln, zum Einkaufen, zum Zubereiten und zum Austausch über Farben und Texturen. Jede dieser Aktivitäten bietet Lernchancen und stärkt die Bindung.
Statt aus einer Haltung der Sorge heraus zu handeln, ist es wichtig, in Vertrauen zu investieren. Vertrauen bedeutet, loslassen zu können, ohne alles genau zu wissen. Denn wenn wir alles wüssten, bräuchten wir nicht zu vertrauen. Dieses Vertrauen unseren Kindern gegenüber zu entwickeln, die wir mehr lieben als alles andere auf der Welt, mag eine unserer größten Herausforderungen sein. Doch es ist der einzige Weg, ihnen die Freiheit zu geben, die sie benötigen, um eines Tages selbstständig ihren Weg gehen zu können.
Weiterführende Informationen:
Podcast ELTERNgespräch: Wie begeistert man Kinder für gesundes Essen