7.7 Verstopfung

25.06.2024


Die Obstipation (Verstopfung) ist ein häufiges Problem bei Kindern. Es zeichnet sich durch erschwerten, schmerzhaften und selteneren Stuhlgang aus. Eine extreme Form ist die Koprostase, bei der der Stuhltransport im Enddarm stillsteht. Kinder mit Obstipation haben in der Regel schmerzhaften und harten Stuhlgang, weniger als dreimal pro Woche, manchmal begleitet von unkontrolliertem Stuhlgang und Bauchschmerzen. Die Diagnose stützt sich auf die sogenannten Rom-IV-Kriterien und kommt bei bis zu 30 % der Allgemeinbevölkerung vor.

Was ist ein normaler Stuhlgang?
Normaler Stuhlgang bei Säuglingen und Kindern variiert stark. Innerhalb der ersten 48 Lebensstunden wird das schwarze Kindspech (Mekonium) abgesetzt. Bei vollgestillten Säuglingen reicht die Bandbreite der Stuhlfrequenzen von etwa 14-mal am Tag bis zu einmal alle zwei Wochen. Nicht gestillte Säuglinge haben mehrmals täglich bis zu dreimal pro Woche Stuhlgang. Kinder und Jugendliche zeigen ein ähnliches Muster.

Sauberkeitserziehung
Die meisten Kinder beginnen etwa mit 18 Monaten, eine teilweise Kontrolle über ihren Stuhlgang zu entwickeln. Mit vier Jahren sind fast alle Kinder sauber.

Wichtig: Ein frühes Toilettentraining bedeutet nicht automatisch eine frühere Kontrolle über die Schließmuskeln. Wichtig ist es, auf die Bereitschaft des Kindes zu achten, das Töpfchen zu nutzen. 

Akute und chronische Obstipation
Es wird zwischen akuter (<1 Monat) und chronischer (>1 Monat) Obstipation unterschieden. Unabhängig von dieser Dauer ist eine prompte Behandlung empfohlen, um das Risiko einer Chronifizierung zu reduzieren.

Stuhlentleerung
Der Prozess der Stuhlentleerung (Defäkation) beginnt einige Stunden nach einer Mahlzeit, wenn die Nahrung den Dickdarm und später das Rektum erreicht. Morgens und nach dem Essen ist die Aktivität des Dickdarms aufgrund des sog. gastrokolischen Reflexes besonders hoch. Normalerweise ist der Analkanal frei von Stuhl. Wenn Stuhl in das Rektum eintritt, wird es gedehnt. Dies löst eine natürliche Kontraktion des Rektums und eine Entspannung des inneren Schließmuskels aus. Der Stuhl bewegt sich dann in den Analkanal.

Von dort aus sendet die Analschleimhaut Signale an das Gehirn, die entweder zur Stuhlentleerung oder zum bewussten Zurückhalten des Stuhls führen. Der äußere Schließmuskel hilft dabei, den Stuhl zurückzuhalten. Wenn der Stuhlgang später erfolgt, wird bewusst die Bauchmuskulatur eingesetzt, um den Stuhl wieder in den Analkanal zu schieben.

Warum kommt es zur Verstopfung?
Bestimmte Lebensphasen eines Kindes sind besonders anfällig für Stuhlprobleme: die Beikosteinführung, die Zeit nach dem Abstillen, der Übergang zur Sauberkeit, der Beginn des Kindergartens oder der Schule sowie Reisen.
Verstopfungen beginnen oft unbemerkt. Eine nicht richtig behandelte, erste akute Verstopfung kann sich verschlimmern. Selbst bei regelmäßigem, aber unvollständigem Stuhlgang kann es zu einer Anhäufung von Stuhl kommen.
Schmerzen beim Stuhlgang, häufiges Eingreifen im Rektalbereich, striktes Toilettentraining oder emotionale Belastungen können zu Verstopfungen führen.

Hinweis: In Sandkastengesprächen oder auch in der Arztpraxis hört man oft unterschiedliche Kommentare zum Thema Obstipation, die irreführend sein können. Zum Beispiel, dass die Kinder einfach nicht das Richtige essen, zu wenig trinken oder man einfach Geduld haben müsse, da sich das Problem schon von selbst lösen werde. Schließlich gibt es auch die Vermutung, dass eine seltenere, organische Ursache hinter der Obstipation steckt. Häufig sind die Hintergründe für eine Verstopfung jedoch deutlich komplexer.

Symptome
Vermeidungsverhalten, also das bewusste Zurückhalten des Stuhls, tritt auf, um negative Erfahrungen zu vermeiden, und kann bei Kindern lange funktionieren. Typische Symptome dieses Verhaltens sind Schreien, Toben, das „Reiten“ mit dem Po oder andere Rückhaltemanöver. Irgendwann wird der Drang zur Stuhlentleerung so stark, dass er nicht mehr unterdrückt werden kann, was zu einem inneren Kampf des Kindes gegen den Stuhldrang führt. Dies kann zu explosionsartigen Stuhlentleerungen oder Einkoten führen.

Auswirkungen
Die Folgen einer chronischen Obstipation können vielfältig sein. Eine Dehnung des Rektums kann dazu führen, dass die Muskelkraft nicht mehr ausreicht, um den harten Stuhl zu entleeren. Dies kann Gärung des alten Stuhls, Blähungen, Überlaufstühle und paradoxen Durchfall verursachen. Anismus, eine Situation, in der der äußere Schließmuskel bei der Defäkation kontrahiert, kann ebenfalls auftreten. Appetitlosigkeit kann durch die neuronale Rückmeldung eines gefüllten Rektums an den Magen-Darm-Trakt entstehen.

Die psychosozialen Folgen sind ebenso bedeutend. Sie reichen von Aggression und Frustration zwischen Eltern und Kind über ein gestörtes Selbstwertgefühl und Zurückgezogenheit oder Depression bis zu sozialer Desintegration und Mobbing. Überbesorgte Eltern können diese Situation verschärfen. Eine verzögerte Behandlung aufgrund des Nichterkennens der Symptome kann die Situation weiter verschlechtern.

Teufelskreis der Verstopfung
Der Teufelskreis beginnt oft mit Auslösern wie psychosozialen Problemen, die Kinder dazu bringen, die Stuhlentleerung zu vermeiden. Diese Vermeidung führt zu Stuhlretention, wodurch der Stuhl härter wird. Das Rektum dehnt sich aus und die Wahrnehmung für den Stuhldrang vermindert sich, was den Kreislauf der Vermeidung verstärkt. Zusätzlich kann es zu Stuhlschmieren kommen, wenn weicher Stuhl unkontrolliert austritt, was die psychosoziale Belastung für das Kind erhöht und den Kreislauf weiter aufrechterhält.

Was ist eine Stuhlinkontinenz?
Stuhlinkontinenz ist das unwillkürliche oder willkürliche Absetzen von Stuhl an unangemessenen Stellen bei Kindern ab vier Jahren. Sie tritt mindestens einmal im Monat über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten auf. Stuhlinkontinenz tritt etwa 1–3 % aller Kinder auf, wobei Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen.

Die Symptomatik beginnt oft unauffällig und kann eine inadäquat behandelte akute Obstipation beinhalten. Zu den Symptomen zählen Bauchschmerzen, Stuhlrückhaltemanöver, Blähungen, Appetitmangel, Erbrechen, Schmerzen bei der Defäkation, Blutbeimengungen im Stuhl und paradoxe, stinkende Überlaufdurchfälle. Das Einkoten (Enkopresis) ist eines der häufigsten Symptome.

Etwa 95 % der Fälle von Enkopresis werden durch funktionelle Obstipation verursacht, aber es gibt auch seltene organische Ursachen. Warnzeichen sind

  • eine Obstipation seit Geburt
  • ein verzögerter Mekoniumabgang
  • Gedeihstörungen
  • Fieber mit einem deutlich geblähten Bauch
  • Erbrechen
  • blutige Durchfälle
  • eine enge, stuhlentleerte Ampulle
  • „Bleistiftstuhl“
  • Muskelschwäche
  • fehlende Reflexe der Beine
  • lumbosakrale Auffälligkeiten
  • distanzloses sexualisiertes Verhalten

Was tun?
Die Behandlung von Obstipation bei Kindern ist ein mehrstufiger Prozess, der auf das Ziel einer regelmäßigen, vollständigen und schmerzfreien Stuhlentleerung abzielt:

  • Aufklären und Informieren: Zunächst ist es entscheidend, die Eltern umfassend aufzuklären und zu schulen, damit sowohl sie als auch das Kind die Grundlagen und die Notwendigkeit einer langfristigen Therapie verstehen.
  • Desimpaktation: Ein wichtiger Schritt ist die Stuhlentleerung oder Desimpaktation, um angesammelten Stuhl zu entfernen. Dies wird meist durch stuhlaufweichende Medikamente unterstützt (v.a. Macrogol).
  • Vermeiden erneuter Stuhlansammlung: Um die Ansammlung von neuem Stuhl zu vermeiden, wird ein kombinierter Ansatz aus Medikamenten, Stuhltraining und angepassten Ernährungsgewohnheiten verfolgt.
  • Erlernen eines normalen Stuhlverhaltens: Parallel dazu arbeitet man an der Rekonditionierung eines normalen Stuhlverhaltens, bei dem das Kind lernt, den Stuhlgang als einen natürlichen und schmerzfreien Vorgang zu empfinden und seine eigene Kompetenz in Bezug auf den Stuhlgang entwickelt. Dies kann durch Verhaltenstherapie unterstützt werden.
  • Bestärken und Unterstützen der gesamten Familie: Indem alle Familienmitglieder in den Behandlungsprozess einbezogen werden, entsteht eine unterstützende Umgebung, die das Kind ermutigt und die erfolgreiche Umsetzung der Behandlung fördert.

Macrogol
Macrogol (Polyethylenglykol; PEG) ist derzeit das Mittel der ersten Wahl zur Behandlung einer Obstipation bei Kindern. Es wird sowohl zur Desimpaktation als auch zur Erhaltungstherapie eingesetzt und kann ab dem sechsten vollendeten Lebensmonat verschrieben werden.
Macrogol hat sich als effektiver erwiesen als Laktulose oder Paraffinöl und gilt als sicher, mit wenigen Nebenwirkungen (Blähungen sind am häufigsten).

Wirkung
Macrogol wirkt osmotisch, ohne die Darmmotilität zu verändern. Es fördert die Stuhlentleerung, indem es Wasser in den Stuhl aufnimmt und somit das Stuhlvolumen erhöht und die Darmpassage erleichtert. Macrogol wird vom Körper nicht aufgenommen und führt auch bei langfristiger Anwendung zu keinem Gewöhnungseffekt. Gibt man zu viel, kann es zu Durchfall führen. Gibt man zu wenig, bleibt der Effekt aus. Man muss also die individuelle Dosis finden und laufend anpassen.

Desimpaktation
Die Desimpaktation ist ein entscheidender Schritt in der Behandlung von Obstipation, da ohne eine vollständige Stuhlentleerung das Risiko eines Rückfalls hoch ist. Dabei wird die orale Desimpaktation bevorzugt, mit der Verwendung von Macrogol in hoher Dosis über einen Zeitraum von 3 bis 5 Tagen.

Merke: Auf Einläufe oder andere rektale Abführmaßnahmen sollte möglichst verzichtet werden, da diese schmerzhaft und traumatisierend sein können. Zudem ist eine Analsphinkterdehnung nicht nur unsinnig, sondern auch gefährlich.

Erhaltungstherapie
Nach der erfolgreichen Desimpaktation folgt die Erhaltungstherapie, bei der Macrogol in einer adäquaten Dosierung eingesetzt wird. Ziel ist es, den Stuhl weich zu halten und damit den Teufelskreis von schmerzbedingter Stuhlretention und Rektumdilatation zu durchbrechen. Die Therapie sollte langsam über Monate ausgeschlichen werden. Treten erneut harter Stuhl oder Kotschmieren auf, kann die Dosierung wieder angehoben werden. 

Merke: Die Dauer der Therapie sollte in etwa der bisherigen Dauer der Obstipation entsprechen.

Trinkmenge
Die Rolle der Trinkmenge in der Behandlung von Obstipation wird oft überschätzt. Es gibt keine Studien, die einen direkten Effekt der Trinkmenge auf die Stuhlfrequenz belegen. Obwohl eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme die Urinproduktion steigert, bleibt die Stuhlfrequenz in der Regel gleich. Dennoch ist es wichtig, eine angemessene Trinkmenge zu empfehlen, da auch bei den meisten gesunden Kindern die Trinkmenge eher zu gering ist. Speziell fruktose- und sorbithaltige Getränke wie Pflaumensaft oder Birnensaft können abführend wirken.

Ballaststoffreiche Ernährung
Bezüglich der Ballaststoffe fehlen gute Studien zur Wirkung auf Obstipation. Sowohl gesunde als auch obstipierte Kinder essen oft zu wenig Ballaststoffe. Obwohl der Verzehr von Ballaststoffen empfohlen wird, sollte dies kein Dogma sein. Eine ausreichende Trinkmenge ist bei einer ballaststoffreichen Ernährung wichtig, da ansonsten Ballaststoffe eher verstopfend wirken können. Generell wird eine optimierte Mischkost empfohlen.

Stuhltraining
Stuhltraining ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung und basiert auf einem verhaltenstherapeutischen Ansatz. Es ist in der Regel abhängig von der Reife des Kindes. Dabei wird der gastrokolische Reflex genutzt, der nach den Mahlzeiten aktiviert wird. Das Training sollte in einer ruhigen, entspannten Umgebung ohne Ablenkungen stattfinden und etwa 5–10 Minuten dauern, mindestens dreimal täglich. Ein Fußschemel ist notwendig, um eine ergonomisch günstige Sitzposition zu erreichen.

Wichtig: Begleitend zum Stuhltraining werden Laxanzien verabreicht.

Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie umfasst mehrere Aspekte: Die Aufklärung über die Pathogenese der Obstipation hilft, ein besseres Verständnis der Erkrankung zu entwickeln. Es geht auch darum, Schuldzuweisungen abzubauen und den Druck auf die Kinder zu verringern. Hilfreich können ein Stuhlkalender und Belohnungsstrategien sein, die die Mitarbeit des Kindes, und nicht nur den Erfolg, honorieren.

Prognose
Die Prognose für Kinder mit Obstipation ist insgesamt mäßig. Auch nach einem Zeitraum von 1–6 Jahren haben mehr als ein Viertel der betroffenen Patienten weiterhin Probleme mit dem Einkoten. Ein Drittel der Patienten leidet bis ins Erwachsenenalter an Schwierigkeiten mit der Stuhlentleerung. Eine frühe Behandlung verbessert die Aussichten erheblich, allerdings kann die Therapie langwierig sein und oft 12–24 Monate dauern. Ein zu frühes Absetzen der Behandlung ist häufig der Grund für ein Scheitern der Therapie. Es besteht keine Gefahr einer Abhängigkeit von Laxanzien.

Weiterführende Informationen:

S2k-Leitlinie: Funktionelle (nicht-organische) Obstipation und Stuhlinkontinenz im Kindes- und Jugendalter

Video: The Poo in You