Von chronischen Bauchschmerzen spricht man, wenn sie entweder unregelmäßig oder dauerhaft über einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten auftreten und mindestens einmal wöchentlich vorkommen.
Häufigkeit
Sie zählen zu den häufigsten Schmerzformen bei Kindern und Jugendlichen. Weltweit sind etwa 15 % der Kinder und Jugendlichen betroffen.
Ursachen
Chronische Bauchschmerzen können funktionell oder organisch bedingt sein. Funktionelle Beschwerden, also Beschwerden ohne eine feststellbare organische Ursache (Reizdarmsyndrom, funktionelle Bauchschmerzen, abdominelle Migräne), sind häufig.
Weitere häufige Ursachen für chronische Bauchschmerzen sind: chronische Verstopfung, Kohlenhydratmalabsorptionssyndrome (Laktose, Fruktose), Zöliakie (nicht-IgE-vermittelte Glutenunverträglichkeit) und postenteritisches Syndrom nach einer Magen-Darm-Infektion.
Funktionelle Bauchschmerzen/Reizdarm
Die meisten Kinder mit funktionellen Beschwerden leiden gemäß den ROM-IV-Kriterien entweder an einem Reizdarmsyndrom oder an funktionellen Bauchschmerzen. Wie bei Erwachsenen sind auch bei Kindern und Jugendlichen die Ursachen vielfältig. Wesentlich ist der Einfluss von genetischen Faktoren und der Psyche, Ereignisse in den frühen Lebensjahren, Darminfektionen und die Zusammensetzung des Darmmikrobioms.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Personen mit diesen Beschwerden der Darm für Substanzen durchlässiger sein kann, als es normalerweise der Fall ist. Auch das Immunsystem in der Darmschleimhaut zeigt Veränderungen. Die Zellen, die dort für die Immunreaktion zuständig sind, reagieren anders. Zudem ist eine erhöhte Empfindlichkeit der inneren Organe zu beobachten, was bedeutet, dass Schmerzen oder Unbehagen intensiver wahrgenommen werden als üblich.
Ebenfalls belegen Studien, dass Stress und psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen und Angststörungen das Auftreten funktioneller Beschwerden fördern können. Psychische Erkrankungen der Eltern, die Krankheitsvorstellungen in der Familie, selektive Aufmerksamkeit, soziales Lernen und erlernte Bewältigungsstrategien haben ebenfalls Einfluss auf die Entwicklung eines Reizdarmsyndroms.
Diagnostik
Durch eine gründliche Anamnese, körperliche Untersuchungen und möglicherweise einige ausgewählte Labortests lässt sich meist mit großer Sicherheit ausschließen, dass die Beschwerden auf eine organische Erkrankung zurückzuführen sind.
Die Aufgabe der behandelnden Ärzte liegt darin, eine gezielte Diagnostik durchzuführen, die organische Störungen schnell, effizient und umfassend erkennt. Gleichzeitig sollte vermieden werden, durch zu umfangreiche Diagnostik zusätzliche Ängste und Sorgen bei den Betroffenen hervorzurufen oder durch invasive Verfahren eine weitere Belastung für die Familien und das Gesundheitssystem zu schaffen.
Anamnese und klinische Untersuchung
Anamnese und klinische Untersuchung sind zentral und oft aussagekräftiger als andere Verfahren. Es ist wichtig, gezielt nach Warnzeichen für organische Erkrankungen zu fragen und die Ernährungsgewohnheiten zu erfragen, um deren Verbindung zu Schmerzsymptomen zu verstehen. Fragebögen, die Warnzeichen und vegetative Symptome erfassen, sowie Bauchschmerzkalender mit Ernährungsanamnese sind nützlich. Psychische Faktoren sollten ebenfalls erfasst werden.
Laboruntersuchung
In der Basisdiagnostik werden üblicherweise auch eine Blutanalyse durchgeführt sowie Urin- und Stuhlproben untersucht.
- Blutanalyse: einschließlich Entzündungsmarker, Leber-, Bauchspeicheldrüsen- und Nierenfunktion, Schilddrüsenwerte und Test auf Zöliakie (Blutbild, CRP, Lipase, GPT, Gamma-GT, gesamtes IgA, Gewebstransglutaminase-IgA-AK, TSH, Kreatinin und Blutzucker)
- Urin: Untersuchen auf Anzeichen für Blasen- oder Nierenerkrankungen sowie Stoffwechselstörungen
- Stuhlproben: Untersuchen auf Parasiten (wie Giardia lamblia, Dientamoeba fragilis), Würmer und Entzündungsmarker (z.B. Calprotectin)
Hinweis: Für die Zöliakie-Diagnostik ist zwingend notwendig, dass in den letzten 3 Monaten nicht (!) glutenfrei gegessen wurde. Eine glutenfreie Diät würde zu falsch negativen Ergebnissen unter bereits laufender Therapie führen. Eine glutenfreie Diät ohne zuvor bestätigte Diagnostik sollte tabu sein.
Weitere Blutuntersuchungen
Weitere Blutuntersuchungen sind primär nicht notwendig! Vor allem sinnfreie Allergietestungen auf IgG4-Basis haben in der evidenzbasierten Medizin keinen Stellenwert. Genauso sollten keine teuren Mikrobiomanalysen im Stuhl vorgenommen werden, für die man im Labor selbst aufkommen muss.
H2-Atemtests
H2-Atemtests auf Kohlenhydratmalabsorptionen sind häufig aufwendig und nicht immer zielführend. Sie sind vordergründig nicht notwendig, auch eine genetische Untersuchung ist verzichtbar.
In der Regel reicht es aus, im häuslichen Umfeld zu beobachten, ob innerhalb von 2 Stunden nach Aufnahme von Laktose (ein Glas Vollmilch) oder Fruktose (ein Glas Trauben- oder Apfelsaft) Symptome wie Blähungen, Bauchschmerzen oder Durchfall auftreten. Sollte das tatsächlich der Fall sein, empfiehlt sich eine möglichst Laktose- bzw. Fruktose-arme Kost über mehrere Wochen, um zu sehen, wie sehr die Symptomatik durch den Verzicht bessert.
Eine Malabsorption dieser Zucker ist primär nicht krankhaft. Jeder Mensch hat seine eigene Grenze, wieviel er verträgt, und diese kann man dann im Falle einer Besserung im Verlauf wieder austesten. Menschen mit einer ausgeprägten Unverträglichkeit dieser Zucker haben in der Regel ein Gespür dafür, sodass die Diagnose einer Unverträglichkeit für gewöhnlich nicht die alleinige Lösung unerkannter chronischer Bauchschmerzen darstellt.
Hinweis: Eine Unverträglichkeit kann auch sekundär bedingt sein, zum Beispiel nach einer Magen-Darm-Grippe oder auf dem Boden einer Zottenatrophie bei Zöliakie. Daher ist es möglich, dass die Beschwerden vorübergehend sind und sich die Unverträglichkeit wieder bessert.
Helicobacter pylori
Der Atemtest oder die Stuhldiagnostik auf das Bakterium Helicobacter pylori sind in der Pädiatrie für die primäre Diagnostik in der Regel nicht vorgesehen. Hat man den Verdacht auf eine anhaltende Magenschleimhautentzündung (Beschwerden vorwiegend im Oberbauch, Aufstoßen, Sodbrennen), kann man versuchsweise einen sog. Magenschutz (Protonenpumpenhemmer) für etwa 2 Wochen verabreichen und beobachten, ob die Beschwerden besser werden. Sollte das der Fall sein, setzt man die Medikation wieder ab. Sollten die Beschwerden dann wieder auftreten, darf man eine Ösophagogastroduodenoskopie (Magenspiegelung) in Erwägung ziehen.
Magenspiegelung
Hier wird die Magenschleimhaut makroskopisch beurteilt: Wirkt sie entzündet? Sind Ulzerationen zu sehen? Sind kleine, hügelartige Erhebungen sichtbar (noduläre Schleimveränderungen; diese könnten auf eine Infektion mit Helicobacter pylori hindeuten)?
Zudem werden Biopsien aus Speiseröhre, Magen und Zwölffingerdarm genommen und mikroskopisch geschaut, ob es Hinweise auf einen Entzündungsprozess oder eine Zöliakie gibt. Bei typischem makroskopischem Bild wird auch eine mikrobiologische Kultur angelegt und ggf. eine Resistenzbestimmung auf H. pylori vorgenommen, um bei Nachweis adäquat behandeln zu können.
Sonografie
Eine Sonografie des Bauches darf bestimmten Fragestellungen vorenthalten bleiben.
Weitere Untersuchungen
Die Indikationen für aufwendigere oder intensivere Untersuchungen wie MRT oder Endoskopie sollten gezielt durch einen pädiatrischen Gastroenterologen gestellt werden.
Warnzeichen (red flags)
Sie sind wichtige Hinweise, um ernstere Erkrankungen von weniger schwerwiegenden abzugrenzen. Folgende Alarmzeichen können auf eine mögliche organische Ursache der Bauchschmerzen hinweisen:
- Schmerzen außerhalb des Nabels
- ausstrahlende Schmerzen
- schwere oder nächtliche Durchfälle
- sichtbares Blut im Stuhl
- unerklärliches Fieber
- ungewollter Gewichtsverlust
- Wachstumsverzögerungen
- Menstruationsstörungen
- familiäre Vorgeschichte von entzündlichen Darmerkrankungen
- Zöliakie oder Ulzera
- plötzlicher Leistungsabfall
- nächtliche Bauchschmerzen
- wiederholtes Erbrechen
- tastbarer Widerstand im Bauch
- Veränderungen im Analbereich wie Hautfalten, Risse oder Fisteln
- Gelenksentzündungen
Hinweis: Bei Vorliegen einer oder mehrerer dieser „red flags“ soll eine gezielte Diagnostik erfolgen. Allerdings sind Sensitivität und Spezifität dieser Warnzeichen begrenzt, sodass zusätzlich eine Labordiagnostik erfolgen sollte.
Was tun?
Der diagnostische Prozess bildet die Grundlage für die Behandlung. Hier wird besonders auf funktionelle Störungen als häufigste Ursache von Bauchschmerzen eingegangen. Organische oder psychische Erkrankungen werden gezielt behandelt.
Verhaltenstherapie
Bei funktionellen Störungen kommen kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen zum Einsatz. Diese umfassen aufklärende Gespräche, die Vermittlung des Verständnisses der Darm-Hirn-Verbindung und das Vermitteln, dass funktionelle Bauchschmerzen reale Symptome sind. Hilfreich sind auch Online-Schulungsvideos, Elternberatung, das Führen eines Bauchschmerzkalenders sowie die Förderung von Sport und körperlicher Aktivität.
Die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Programme sind auch online verfügbar und können mit Hypnotherapie oder Entspannungstechniken wie Yoga ergänzt werden. Sie bieten langfristigen Erfolg und sind besonders wichtig, wenn zusätzlich psychische Probleme bestehen, bei denen eine kinderpsychiatrische Mitbetreuung angezeigt sein kann. Solche therapeutischen Maßnahmen sind oft wirksamer als Medikamente.
Medikamente
Bei funktionellen Störungen zeigen medikamentöse Therapien keine überzeugende Wirkung. Medikamente wie Spasmolytika oder Psychopharmaka haben keinen eindeutigen Wirksamkeitsnachweis. Auch Antibiotika und andere spezifische Medikamente erbrachten keine überzeugenden Ergebnisse. In einigen Fällen kann eine vorübergehende Therapie mit dem Stuhlweichmacher Macrogol, insbesondere bei Verdacht auf unerkannte Verstopfung, hilfreich sein.
Probiotika
Studien zu Probiotika bei Kindern mit Reizdarmsyndrom zeigen gemischte Ergebnisse. Es gibt keine eindeutige Empfehlung für deren Einsatz bei chronischen Bauchschmerzen. Bestimmte Probiotika-Stämme können Schmerzen reduzieren, aber Langzeitergebnisse fehlen.
Bei Kindern mit ausgewogener Ernährung sind zusätzliche Diäten oder Ballaststoffe normalerweise nicht nötig.
Therapieresistenz
Bei therapieresistenten Fällen kann eine Überweisung zu Spezialisten oder eine intensivierte multimodale Schmerztherapie in Betracht gezogen werden.
Weiterführende Informationen:
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