9.6 Frühförderung

02.06.2024


Bei der Behandlung von Entwicklungsstörungen, die eher durch soziale und bildungsbezogene Faktoren als durch medizinische Ursachen bedingt sind, besteht die Tendenz, diese Probleme ins medizinische System zu übertragen. Es sollte jedoch vorrangig versucht werden, solche Herausforderungen mit pädagogischen Maßnahmen anzugehen. Die KiGGS-Studie und Einschuluntersuchungen zeigen, dass Kinder ab drei Jahren oft fälschlicherweise mit medizinischen Heilmitteln behandelt werden, anstatt geeignete frühkindliche Förderungen zu erhalten.

Ursachen
Die Gründe hierfür liegen unter anderem in der Fokussierung auf das Verhalten des einzelnen Kindes und seiner Eltern, ohne die tieferliegenden sozialen Ursachen zu berücksichtigen. Erschwerend kommt hinzu, dass es an zugänglichen Förderangeboten im sozialen Umfeld mangelt. Außerdem sind Kinder- und Jugendärzte oft zurückhaltend, soziale Unterstützungsangebote zu empfehlen, da Familien diese oft nicht wahrnehmen.

Lösungsansätze
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass Kinder- und Jugendärzte eine Ausbildung erhalten, die ein Bewusstsein für sozialpädagogische Lösungsansätze schafft. Durch die Bildung regionaler Netzwerke, die medizinische und sozialpädagogische Einrichtungen verbinden, könnte eine gezieltere Unterstützung für Kinder mit soziogenen Entwicklungsproblemen erreicht werden. Eine stärkere sozialräumliche Unterstützung, die Familien berät und bei der Inanspruchnahme von Fördermaßnahmen unterstützt, wäre ebenfalls förderlich.

Konkrete Vorschläge für Alternativen zum medizinischen System könnten sein:

  • Stärkung von Eltern-Kind-Gruppen mit Schwerpunkt auf sozialer Interaktion und bildungsbezogener Förderung
  • Einrichtung von lokalen Bildungs- und Beratungszentren, um Familien Zugang zu Informationen und Ressourcen für die frühkindliche Entwicklung zu bieten.
  • Förderung von Programmen in Kindertagesstätten und Schulen, die auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen und die Stärkung des familiären Umfelds abzielen. 

Zusätzlich ist die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Kinderärzten und sozialen Einrichtungen von großer Bedeutung, um Familien gezielt zu unterstützen und die Nutzung von Angeboten zur sozialen Förderung zu erleichtern. Lokale Ansprechpartner können Familienberatungszentren und das Jugendamt sein.

Fazit
Heilmittelverordnungen sind ausschließlich für medizinisch diagnostizierte Störungen gedacht und nicht für allgemeine Entwicklungsverzögerungen, die außerhalb eines medizinischen Rahmens liegen. Die Herausforderung besteht darin, eine Balance zu finden, die sowohl die medizinischen Bedürfnisse als auch die Unterstützung des Kindes im sozialen Kontext berücksichtigt und dabei die rechtlichen Vorgaben für Heilmittelverordnungen einhält. 

Weiterführende Informationen:

Fegeler, U., Jäger-Roman, E., Gempp, W. et al. Prävention und Management soziogener Entwicklungsstörungen in der pädiatrischen Grundversorgung. Monatsschrift Kinderheilkunde 172, 334–341 (2024)