9.7.2 Konzentrationsstörung

02.06.2024


Häufigkeit
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine häufige Ursache für Schulprobleme bei Kindern. Etwa 5% der Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren in Deutschland sind von ADHS betroffen. Die Störung wird bei Jungen viermal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. 
Hinweis: ADHS ist keine moderne Erkrankung. Diese hyperaktiven Verhaltensweisen wurden bereits im 18. und 19. Jahrhundert beschrieben. Heinrich Hoffmann porträtierte in seinem Buch „Struwwelpeter“ aus dem Jahr 1844 Charaktere wie Zappel-Philipp und Hans Guck-in-die-Luft, die Symptome von ADHS aufweisen.

Diagnostik
Eine umfassende Diagnose erfordert eine ausführliche Anamnese, spezielle Fragebögen und eine medizinische Basisdiagnostik der Sinne. Um festzustellen, ob es sich um primäres ADHS handelt oder ob die Symptome auf andere Probleme wie Lernschwierigkeiten, Mobbing, Depressionen oder Entwicklungsstörungen zurückzuführen sind, ist es wichtig, wesentliche Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen. Eine gründliche Untersuchung von ADHS erfordert die Expertise von spezialisierten Kinder- und Jugendärzten oder Kinder- und Jugendpsychiatern. Gemäß der Leitlinie sollten sich Kinder- und Jugendpsychologen ausschließlich mit speziellen Fragestellungen befassen.

Für die Diagnose von ADHS bei Kindern ist es entscheidend, dass die Symptome wie Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität in verschiedenen Lebensbereichen wie Schule, Familie und Freizeit eine deutliche Beeinträchtigung verursachen. Zudem müssen die Merkmale kontinuierlich über mehr als sechs Monate bestehen und bereits vor dem 7. Lebensjahr aufgetreten sein.

Merke: Für die Diagnose ADHS ist es wichtig, dass das Kind oder die Familie unter den Symptomen leidet.

Was tun?
Positive Eigenschaften fördern
Nach der Diagnosestellung sollten positive Eigenschaften, die oft bei ADHS zu finden sind, gefördert werden. Kinder mit ADHS bringen oft besondere Begeisterungsfähigkeit, Kreativität und Originalität mit sich. Sie sind häufig charmant, fröhlich, einfallsreich und flexibel. Um dies zu verdeutlichen, können Beispiele erfolgreicher Persönlichkeiten mit ADHS herangezogen werden, wie Thomas Edison, Sir Winston Churchill, Wolfgang Amadeus Mozart oder Bill Gates.

Jäger-Bauer-Theorie
In der Beratung wird auch gerne die „Jäger-Bauer-Theorie“ einbezogen, um das ADHS-Verhalten positiv zu betrachten. Aus unfokussiert und leicht ablenkbar wird ständige Überwachung der Umgebung, aus kurzer Aufmerksamkeitsspanne wird jederzeit aufbruchsbereit, aus chaotisch wird flexibel und aus kopflos wird risikofreudig.

Einbeziehen der Eltern
Die Eltern werden darin bestärkt, dass sie nicht die Ursache für das Verhalten ihres Kindes sind. Gemeinsam werden Wege gesucht, das Kind zu unterstützen, beispielsweise durch regelmäßigen Sport oder das Einbeziehen der Eltern in die Hausaufgaben.

Maßnahmen in der Schule
Eine Zusammenarbeit mit der Schule ist wichtig, um die Unterrichtsmethoden an die Bedürfnisse des Kindes anzupassen. Lehrerzentrierter Unterricht mit klaren Regeln und Grenzen scheint für Kinder mit ADHS effektiver zu sein als offene Lernformen.

Therapie
In Bezug auf Therapieoptionen bietet der Pädiater je nach Bedarf und Verfügbarkeit verschiedene Behandlungsmöglichkeiten an, wie beispielsweise Verhaltenstherapie oder Ergotherapie.

Medikamente
Die medikamentöse Behandlung von ADHS mit Stimulanzien, insbesondere Methylphenidat (MPH), ist ein viel diskutiertes Thema. Die Verordnung von MPH hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen, was Bedenken hinsichtlich einer möglichen Überverordnung aufwirft. Trotzdem bleibt MPH ein wichtiger Bestandteil der ADHS-Therapie und wird von vielen Pädiatern als „Goldstandard“ betrachtet, da es, richtig eingesetzt, weder Suchtpotenzial besitzt noch Spätschäden bekannt sind. Es stellt die Basis für weitere Maßnahmen dar.

Vor einer Entscheidung für eine medikamentöse Therapie sollten die Eltern ausführlich über die Wirkungsweise, mögliche Nebenwirkungen und die Handhabung des Medikaments beraten werden. Auch kontroverse Meinungen zu MPH, die oft als „chemische Keule“ kritisiert werden, sollten angesprochen werden. MPH kann jedoch auch als eine Art „chemische Brille“ betrachtet werden, die die Wahrnehmung schärft und das Verständnis verbessert.

Weiterführende Informationen:

Rauter, L. Rolle des Kinderarztes bei Lernstörungen und Schulproblemen. Monatsschr Kinderheilkd 165, 468–475 (2017)