10.2 Homöopathie

19.06.2024


Homöopathische Mittel werden weltweit häufig verwendet, insbesondere in der Kinder- und Jugendmedizin. Laut einer umfassenden internationalen Untersuchung aus dem Jahr 2014 haben über 75 % der Kinder- und Jugendärzte im letzten Jahr mindestens einmal homöopathische Mittel verordnet. Mehr als die Hälfte der befragten Mediziner betrachtet Homöopathie als eine mögliche Behandlungsoption, insbesondere bei Erkrankungen, die in der Regel von selbst abklingen, wie Erkältungen, Säuglingskoliken, Schlafprobleme und Zahnungsbeschwerden.

Historisches
Homöopathie wurde vor etwa 200 Jahren von Samuel Hahnemann konzipiert und basiert auf dem Ähnlichkeitsprinzip. Hahnemann wandte sich von der heroischen Medizin seiner Zeit ab, die Aderlässe und den Einsatz von Brechmitteln und Quecksilber umfasste. Nach einem Selbstversuch mit Chinarinde, die damals gegen Malaria eingesetzt wurde, glaubte er malariaähnliche Symptome entwickelt zu haben. Daraus leitete er ab, dass homöopathische Mittel Symptome bekämpfen sollen, die sie bei Gesunden erzeugen könnten.

Prinzip der Homöopathie
Das Prinzip der Potenzierung in der Homöopathie beinhaltet die starke Verdünnung von Substanzen, oft über die sogenannte Avogadro-Grenze hinaus. Diese Grenze markiert den Punkt, an dem statistisch gesehen keine Moleküle der Ausgangssubstanz mehr in der Lösung vorhanden sind. Das bedeutet, dass die Lösung so stark verdünnt ist, dass sie im Wesentlichen nur noch aus dem Verdünnungsmittel (wie Wasser oder Alkohol) besteht und keine nachweisbaren Anteile des ursprünglichen Wirkstoffs mehr enthält.

Homöopathen sind der Ansicht, dass durch das wiederholte Verdünnen und Schütteln (auch „Dynamisieren“ genannt) eine Art „Wirkkraft“ in der Lösung erhalten bleibt oder sogar verstärkt wird.
Diese Vorstellung ist jedoch wissenschaftlich umstritten, da es keine nachvollziehbare Erklärung für eine solche Wirkkraft gibt, insbesondere wenn keine messbaren Mengen der Ausgangssubstanz mehr vorhanden sind. Die Idee eines „Wassergedächtnisses“, also dass das Verdünnungsmittel die Eigenschaften der ursprünglichen Substanz „speichert“, steht im Widerspruch zu den etablierten Prinzipien der Chemie und Physik.

Studienergebnisse
Die Wirksamkeit homöopathischer Mittel ist wissenschaftlich nicht belegt. Studien, die auf einer hohen Evidenzstufe stehen, finden keine überzeugenden Beweise für die Wirksamkeit von Homöopathika über Placebo hinaus. Auch wenn vereinzelt positive Effekte in Studien auftraten, ist die Gesamtevidenz nicht überzeugend. Kritisiert wird häufig die Qualität der Studien und ein möglicher Publikationsbias, bei dem Studien mit keinen oder negativen Effekten nicht veröffentlicht werden.

„Zulassungskriterien“
In Deutschland müssen homöopathische Mittel nicht zugelassen, sondern nur registriert werden, sofern sie kein Anwendungsgebiet haben und bestimmte Verdünnungsgrade aufweisen. Diese Sonderregelungen führen zu Kritik, da sie eine wissenschaftlich fundierte Wirksamkeitsprüfung umgehen. Es gibt Bedenken, dass homöopathische Mittel, die als „Arznei“ verkauft werden, irreführend sein können, da sie nicht denselben strengen Zulassungskriterien wie konventionelle Medikamente unterliegen.

Nebenwirkungen
Die Verwendung von Homöopathika kann zu direkten oder indirekten Schäden führen. Direkte Schäden können allergische Reaktionen umfassen, wenn eine Allergie auf Restmengen des Ausgangsstoffes vorliegt. Indirekte Schäden können entstehen, wenn effektive konventionelle Therapien zugunsten von Homöopathie verzögert oder vermieden werden. In der Praxis kann dies bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs zu kritischen Verzögerungen in der Behandlung führen.

Die Akzeptanz der Homöopathie in der Bevölkerung ist weiterhin hoch. Dies kann teilweise auf den Placebo-Effekt und die intensiven Patientengespräche zurückgeführt werden. Homöopathische Ärzte nehmen sich oft viel Zeit für ihre Patienten, was das Vertrauen in die Behandlung stärkt.

Kostenübernahme
Ein Diskussionspunkt ist die Kostenübernahme durch Krankenkassen. Einige Krankenkassen übernehmen die Kosten für homöopathische Behandlungen, obwohl deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht belegt ist. Studien zeigen jedoch, dass dies nicht unbedingt zu Einsparungen führt.

Transparenz und Aufklärung
Die Debatte um die Homöopathie reicht in viele Bereiche, von der medizinischen Praxis bis hin zur Gesundheitspolitik. Für eine effektive Gesundheitsversorgung ist es wichtig, dass Patienten und medizinisches Fachpersonal gut über die Homöopathie und ihre wissenschaftlichen Grundlagen informiert sind. Die evidenzbasierte Medizin fordert mehr Transparenz und Aufklärung in der Homöopathie, um Missverständnisse, wie die Verwechslung von Homöopathie mit Naturheilkunde, zu vermeiden.

Die Debatte über Homöopathie spiegelt eine größere Diskussion über die Regulierung und Erstattung alternativer Medizinpraktiken wider. Eine ausgewogene Betrachtung der wissenschaftlichen Evidenz und der Patientenpräferenzen ist erforderlich. Die Politik spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Homöopathie, sowohl in Bezug auf Zulassungsverfahren als auch auf die Erstattung durch Krankenversicherungen.

Placebo-Effekt
Die Homöopathie wird in der wissenschaftlichen Evidenz als Placeboverfahren eingestuft. Dies liegt unter anderem an den ausführlichen Patientengesprächen. Homöopathen zielen auf die Auswahl des passenden Mittels ab, aber der entstehende Gesprächseffekt kann als eine Art unabsichtliche Psychotherapie wirken. Dennoch kann diese Form der Gesprächstherapie positive Effekte haben, die jedoch nicht auf die spezifische Wirkung homöopathischer Präparate zurückzuführen sind.

Bei Kindern und Babys ist der Placeboeffekt besonders relevant. Er entsteht nicht durch „Einbildung“, sondern als körperlich-seelische Reaktion auf Zuwendung und positive Erwartungshaltung. Die Verfassung der Bezugsperson spielt dabei eine wichtige Rolle.

Wichtig: Der Placeboeffekt sollte nicht mit einer Heilung der Grunderkrankung verwechselt werden. Falls er falsch eingeschätzt wird, kann dies zu Verzögerungen in der notwendigen Behandlung führen.

Kritisch betrachtet
Aufgrund der naturwissenschaftlichen Unplausibilität konnte kein stichhaltiger und stabil reproduzierbarer Nachweis einer spezifischen Wirksamkeit der Homöopathie erbracht werden. Die Darstellung der Evidenzlage zur Homöopathie sollte nicht irreführend sein, da dies das Vertrauen in die wissenschaftliche Medizin untergraben kann. Ärzte sollten diesem Vertrauensverlust nicht Vorschub leisten, auch nicht durch das Erfüllen von Patientenwünschen.
Eine kritische Betrachtung der Homöopathie im Kontext der wissenschaftlichen Medizin und aktuellen Erkenntnisse zeigt, dass sie keine rationale Grundlage besitzt und keinen Nutzen bringt, der nicht auch anders und sinnvoller erbracht werden könnte. In der Kinderheilkunde ist der Einsatz der Homöopathie problematisch, da Ärzte die Verantwortung tragen, klar zwischen Wissenschaft und Pseudomedizin zu unterscheiden.

Das Gesundheitssystem hat zwar Schwächen, doch die Homöopathie bietet keine sinnvolle Lösung. Sie suggeriert eine therapeutische Vielfalt, die in der Pädiatrie nicht nötig ist, und ist gefährlich, wenn sie echte medizinische Interventionen ersetzt. Zudem wird Homöopathie fälschlicherweise als Lösung für das Problem zunehmender Antibiotikaresistenzen propagiert. Dies untergräbt jedoch eine faktenorientierte und effiziente Sichtweise auf dieses Problem.

Krankenkassen sollten nicht länger Homöopathika erstatten und Landesärztekammern sollten die Zusatzbezeichnung Homöopathie und entsprechende Weiterbildungen nicht mehr anbieten. Einige Ärztekammern haben bereits ihre Weiterbildungsordnungen angepasst. Fachgesellschaften sollten in Leitlinien klarstellen, dass Homöopathie keine Behandlungsoption darstellt, Fachzeitschriften sowie allgemeinverständliche Publikationen sollten wiederum den Mangel an Wirksamkeitsnachweisen deutlich machen. Die Gesundheitspolitik sollte sich auf die Förderung von Gesundheitskompetenz und Aufklärung konzentrieren und dabei den Stellenwert von Methoden ohne Evidenznachweis kritisch beleuchten.

Wenn es um die Verwendung von Homöopathie geht, sollten medizinisches Fachpersonal sowie Eltern und Betreuende von Kindern und Jugendlichen eine fundierte Entscheidungsgrundlage haben. Hierfür sind eine fortlaufende Ausbildung und Information über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung und die bestehenden regulatorischen Rahmenbedingungen erforderlich. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Gesundheitsversorgung auf evidenzbasierten Methoden beruht und Patienten sowie ihre Familien die bestmögliche Beratung und Behandlung erhalten.

Argumentationen
Nachfolgend finden sich einige häufig vorgebrachte Argumente für die Homöopathie, die mit objektiven, wissenschaftlichen Erkenntnissen hinterfragt werden:

  • „Wer heilt, hat recht“: Diese Annahme setzt voraus, dass der Heilungserfolg ursächlich auf die verwendete Methode zurückzuführen ist. In der Homöopathie fehlen jedoch stichhaltige wissenschaftliche Beweise, die eine kausale Verbindung zwischen Behandlung und Heilung bestätigen.
  • „Mir hat es aber geholfen“: Der subjektive Eindruck basiert auf individuellen Erfahrungen, die nicht verallgemeinerbar sind. Viele Faktoren können zu einer Besserung der Symptome beitragen, und es bleibt unklar, was ohne die Behandlung passiert wäre.
  • „Kinder reagieren nicht auf Placebo“: Der Placeboeffekt ist ein gut dokumentiertes Phänomen und nicht mit Einbildung gleichzusetzen. Er tritt in vielen Behandlungsszenarien auf und ist nicht spezifisch für die Homöopathie. Tatsächlich bietet die Homöopathie keine Vorteile, die über den Placeboeffekt hinausgehen. Die Annahme, dass Kinder und Tiere nicht auf Placebos reagieren, ist nicht korrekt. Auch sie können auf den Kontext und die Suggestion reagieren, die mit der Behandlung einhergehen.

Hinweis: Obwohl es Studien gibt, die positive Ergebnisse für die Homöopathie zeigen, sind die Qualität und die Ergebnisse dieser Studien oft fragwürdig und werden teilweise überbewertet.

  • „Ich möchte eine Behandlung ohne Chemie“: Der Wunsch nach einer Behandlung ohne „Chemie“ beruht auf einem Missverständnis, da alle Lebensprozesse chemische Prozesse sind. Homöopathische Mittel enthalten chemische Substanzen, auch wenn diese extrem verdünnt sind.
  • „Ich möchte eine natürliche Behandlung“: Der Wunsch nach einer sanften und natürlichen Behandlungsmethode ist verständlich. Allerdings ist die Homöopathie nicht mit Naturheilkunde gleichzusetzen. Außerdem ist nicht jede natürliche Behandlung automatisch sanft oder sicher.
  •  „Die Pharmaindustrie ist gegen die Homöopathie“: Diese Annahme ignoriert die Tatsache, dass viele homöopathische Mittel von großen Pharmaunternehmen hergestellt und vermarktet werden.
  •  „Kritiker der Homöopathie werden für ihre Meinung bezahlt“: Auch diese Behauptung entspricht nicht der Realität. Viele engagieren sich aus persönlicher Überzeugung und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Fazit
Der Glaube an die Homöopathie bleibt eine persönliche Entscheidung. Es ist jedoch wichtig, dass solche Entscheidungen auf fundierten Informationen und einem klaren Verständnis der verfügbaren wissenschaftlichen Beweise basieren.

Weiterführende Informationen:

Quarks: Darum ist Homöopathie wissenschaftlich nicht nachvollziehbar

Podcast: Quarks Science Cops Folge 28 – Die Akte Homöopathie: Potenzierter Unfug

Homoeopathy and “the growth of truth”, Vandenbroucke, Jan P, The Lancet, Volume 366, Issue 9487, 691–692

European Academies’ Science Advisory Council: Homeopathic products and practices, September 2017

Grams, N., Oude-Aost, J., Harney, O. et al. Homöopathie in der Pädiatrie – eine kritische Analyse. Monatsschrift Kinderheilkunde 168, 150–157 (2020)

Seifert, G., Blakeslee, S.B., Calaminus, G. et al. Integrative medicine during the intensive phase of chemotherapy in pediatric oncology in Germany: a randomized controlled trial with 5-year follow up. BMC Cancer 22, 652 (2022)

The end of homoeopathy, The Lancet, August 2005, Volume 366, Issue 9487, 690